Österreich – Sizilien per Bahn – Teil 1: mit Intercitybus und Railjet nach Venedig

ÖBB-Intercitybus nach Klagenfurt vor der Abfahrt in Graz – Bild: Daniel Kortschak

Für einen späten Sommerurlaub geht’s im Oktober 2021 nach Sizilien. Und zwar mit der Bahn, mit Zwischenstopps in Venedig und Rom. Im ersten Teil des Reiseberichts fahren wir mit Bus und Zug von Graz über Klagenfurt nach Venedig.

Von Daniel Kortschak

Die Reise beginnt an einem trüben Oktobermorgen am Grazer Hauptbahnhof. Genauer gesagt vor dem Hauptbahnhof, denn die ersten 130 Kilometer der langen Fahrt ganz an die Südspitze Europas absolvieren wir mit dem Autobus. Und zwar mit dem Intercitybus der ÖBB. Das ist wesentlich schneller als der große Umweg auf Schienen über Bruck an der Mur und Leoben. Zudem müssten wir auch dort mit dem Bus fahren – wegen der endlosen Bauarbeiten auf dieser Strecke fahren einzelne Züge einmal mehr im Schienenersatzverkehr.

Erst kurz vor der planmäßigen Abfahrtszeit erscheint der Buslenker. Wir stehen derweil auf dem unwirtlichen Vorplatz des Grazer Hauptbahnhofs. Das Gepäck dürfen wir dann unter den interessierten Blicken des Herrn Chauffeur selbst einladen und die Reservierung hat auch nicht funktioniert. Das kann bei den stets gut besetzten Intercitybussen auf der Strecke Graz – Klagenfurt schnell ins Auge gehen. Und ist bei einem bus- und zuggebundenen Sparschienefahrschein Graz – Venedig ohnehin ein totaler Unsinn. Zum Glück haben wir uns die 1. Klasse geleistet, und da ist noch Platz: im Unterdeck direkt neben dem Lenker, was uns eine gute Aussicht beschert.

Die Hoffnung auf einen Kaffee wird freilich enttäuscht: Dieses Angebot ist wohl Corona zum Opfer gefallen. Oder dem Sparstift eines ÖBB-Betriebswirts. Immerhin, Zeitungen gibt es noch für 1.Klasse-Fahrgäste. Die heben wir uns aber für später auf. Jetzt lassen wir uns einmal in die bequemen Ledersitze fallen und genießen die Fahrt über die landschaftlich sehr reizvolle Pack-Autobahn. Der Lenker glänzt zwar nicht durch besondere Hilfsbereitschaft, an seinem Fahrstil gibt es aber nichts auszusetzen. Souverän und absolut ruckfrei steuert er den großen rot-grauen Setra-Doppeldecker über die kurvige Autobahn mit ihren zahlreichen Tunnels und unzähligen Brücken. Klagenfurt erreichen wir wie gewohnt mit ein paar Minuten Vorsprung.

Ein schneller Kaffee in der ÖBB-Lounge in Klagenfurt – Bild: Daniel Kortschak

Dort gibt’s dann endlich auch den heiß ersehnten Morgenkaffee für uns: in der nach monatelanger Corona-Sperre endlich wieder geöffneten ÖBB-Lounge. Wir haben sie ganz für uns alleine und genießen zum Cappuccino auch ein frisches Kipferl, einen Organgensaft und etwas Obst. Alles auf Kosten des Hauses. Die 1. Klasse hat sich somit wohl bereits gelohnt. Nach einer guten Viertelstunde heißt’s dann bereits wieder aufbrechen. Unser Railjet nach Venedig fährt pünktlich auf Bahnsteig 1 ein. Im Zug dann die nächste schlechte Überraschung: die gemeinsam reservierten Sitzplätze sind nicht nebeneinander, gegen die Fahrtrichtung und ein sogenannter Fensterplatz hat statt der Sicht nach draußen nur eine verblechte Wand zu bieten. Wir fragen uns, wer diese Züge wohl designt hat. Offenbar jemand, der nicht allzu oft selbst mit der Bahn fährt. Wir wundern uns außerdem über das ÖBB-Reservierungssystem, ärgern uns kurz über die buchstäblich zum Fenster hinausgeworfene Reservierungsgebühr und machen es uns dann in einer freien, nicht reservierten Sitzgruppe gemütlich.

Kaum hat sich der Zug in Bewegung gesetzt, geht eine freundliche junge ÖBB-Mitarbeiterin durch und bittet um unsere 3G-Nachweise sowie das italienische Einreiseformular. Beides haben wir in elektronischer Form dabei. Zum Glück, denn sonst wäre für uns am Grenzbahnhof Tarvisio Boscoverde bereits wieder Endstation. Dass Italien es ernst meint mit den Einreiseregeln, zeigt sich kurz darauf: Drei italienische Polizisten erscheinen in Begleitung von zwei österreichischen Kollegen im Wagen. Während sich die beiden Kärntner Beamten gleich in der 1. Klasse niederlassen und sich ihrem Handy widmen, starten die Italiener ihre Kontrolle. Die 1. Klasse wollen sie aber heute auslassen, wie sie ihren Kollegen auf Deutsch und Englisch mitteilen. Die nicken teilnahmslos und murmeln ein „OK“. Und tatsächlich: Nicht alle Fahrgäste des Railjet „San Marco“ werden es heute nach Venedig schaffen: Bei der Ausfahrt aus dem absurd großen und sonst gottverlassenen Bahnhof Tarvisio Boscoverde beobachten wir später ein aufgebrachtes Grüppchen, umringt von zahlreichen Polizisten und Carabinieri. Sie hatten wohl nicht alle erforderlichen Dokumente dabei und müssen jetzt hier im Nirgendwo auf einen der wenigen Züge zurück nach Österreich warten. Oder schauen, wie sie sonst weiterkommen. Hart, aber konsequent.

Auch für uns hat Corona noch eine schlechte Überraschung parat: der Speisewagen muss an der Grenze schließen, darf nur mehr Abgepacktes zum Mitnehmen verkaufen. So wollen es die strengen italienischen Vorschriften zur Pandemiebekämpfung. Nachdem es das Personal entgegen seiner Ankündigung auch nach einer Stunde nicht mit dem Minibar-Wagerl in die 1. Klasse geschafft hat, holen wir uns selbst etwas. Und stören die Catering-Mitarbeiterin bei ihrer privaten Disco-Session mit lauter Handymusik im leeren Bordrestaurant. Immerhin, wir bekommen das Gewünschte. Statt bei einem ordentlichen Mittagessen lassen wir nun also bei Sandwiches aus dem Sackerl und Bier aus dem Pappbecher die wolkenverhangene wilde Landschaft des Kanal- und Eisentals an uns vorüberziehen. Und wundern uns einmalmehr, wie langsam der Railjet über die erst vor wenigen Jahren fertiggestellte, mit Milliardenaufwand kerzengerade durch Berge hindurch und über Flüsse hinweg trassierte Neubaustrecke zuckelt. Irgendwann erreichen wir dann doch Udine. Überpünktlich.

Strömender Regen in Udine -Bild: Daniel Kortschak

Inzwischen schüttet es in Strömen. Trotzdem geht es pünktlich weiter. Und jetzt beginnt die Zuckelei erst so richtig. Der Zug macht im Vergleich zur Autobahn ohnehin schon einen großen Umweg über Pordenone und Treviso. Und dann schafft er kaum mehr als Tempo 100. Immer wieder müssen wir auch stark herunterbremsen oder in einem kleinen Bahnhof kurz warten. Der internationale Railjet Wien – Venedig genießt in Italien ganz offenbar keinerlei Priorität und muss jeden Bummelzug vorbeilassen. Nachdem die Landschaft hier in der oberitalienischen Ebene auch kaum etwas zu bieten hat außer Feldern, Gewerbehallen und Häuserschluchten, und der Regen immer noch heftig gegen die Fenster klatscht, sehnen wir jetzt schon das Ende der langen Reise herbei. Zuerst müssen wir uns aber noch in Venezia Mestre gedulden: Der riesige Bahnhof des Festland-Teils von Venedig ist ein wichtiger Knoten im norditalienischen Eisenbahnnetz und eine ständige Quelle für Verspätungen. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals mit einem Zug pünktlich verlassen zu haben. So auch diesmal.

Doch die langsame Fahrt auf dem langen Damm quer durch die Lagune auf das bei jedem Wetter und jedem Licht magische Venedig entschädigt dann wieder für die Mühen der letzten Stunden und lässt die Vorfreude auf ein paar tolle Tage in der Serenissima von Meter zu Meter wachsen. Wie immer liefern wir uns ein Wettrennen mit einem parallel nach Venezia Santa Lucia einfahrenden Zug. Diesmal ist es ein ETR 400 von Trenitalia, das unter dem Markennamen „Frecciarossa 1000“ vermarktete beste Rennpferd im Stall der italienischen Staatsbahnen. Und die jüngste Generation des „Roten Pfeils“ macht ihrem Namen alle Ehre: knallrot, schnittig und bis zu 350 km/h schnell. Die kann die pfeilschnelle „Freccia“ zwar hier nicht ausfahren. Trotzdem gewinnt sie den Zielsprint mit dem deutlich behäbigeren und gut 10 Jahre älteren Wendezug namens ÖBB-Railjet schließlich um ein paar Meter. Das gebietet schon der Nationalstolz. Und die Ehre der nicht minder stolzen italienischen Eisenbahner. Mit ganz wenigen Minuten Verspätung hält dann auch unser ÖBB-Flitzer am Bahnsteig in Venezia Santa Lucia. Er macht zwischen all den knallroten italienischen Hochgeschwindigkeitszügen trotz seines Alters und seiner altmodischen Lok-Wagen-Konstruktion keine schlechte Figur und ist im dezenten dunkelrot-dunkelgrau auch eine elegante Erscheinung.

Eine der schönsten Bahnhofseinfahrten der Welt: auf dem Damm nach Venedig – Bild: Daniel Kortschak

Wir halten uns aber nicht länger auf und machen uns schnell auf den Weg Richtung Ausgang. Selbstverständlich unter Beachtung der viele  grünen Pfeile und zahlreichen Verbots-Piktogramme auf dem Boden. Denn in italienischen Bahnhöfen gilt seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie ein striktes Einbahnsystem. Wir treten hinaus auf die monumentale Treppe des blütenweißen Bahnhofsklotzes, den Benito Mussolini der Lagunenstadt beschert hat, nehmen die Maske ab und atmen tief durch. Da ist er, der unverwechselbare Geruch von Venedig: eine Mischung aus Salz, modrigem Wasser, Schiffsabgasen, Öl und Kaffeeduft. Dann gehen wir entspannt die letzten paar Hundert Meter zu unserer Unterkunft. Mit der Bahn in Venedig anzukommen ist mit Abstand die bequemste Art, die Lagunenstadt zu erreich. Und die schönste sowieso.

Nach ein paar Tagen im herrlich leeren und total stressfreien Venedig mit Besuch der Architekturbiennale und einer tollen Bruce Nauman-Ausstellung geht’s dann weiter nach Sizilien. Mehr dazu schon bald im zweiten Teil.

Corona: Chaos bei der Öffnung der Grenzen in Europa

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Fahrradbrücke der Freiheit / Cyklomost slobody zwischen Engelhartstetten (A) und Devínska Nová Ves (SK) – Bild: Wikipedia / Bratislavcan85 – eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20802012

Von Daniel Kortschak

Schon seit der großen Flüchtlingsbewegung 2015 nehmen es viele EU-Staaten nicht mehr so genau mit der Reisefreiheit in Europa. Die Corona-Pandemie hat die Grenzen jetzt mit einem Schlag völlig unüberwindbar gemacht. Bei der Wiederöffnung dilettieren die einzelnen Mitgliedsländer herum, überforderte Politiker verunsichern die Menschen mit unklaren Ankündigungen. Und Brüssel schaut einmal mehr hilf- und tatenlos zu.

Spät – manche sagen zu spät – aber immerhin hat Österreich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im März die Grenzen zu seinen Nachbarländern geschlossen. Zunächst zum vom Virus schwer heimgesuchten Italien, dann schrittweise auch zu allen anderen angrenzenden Staaten. In manchen Fällen war das nicht viel mehr als ein Formalakt, denn zum Beispiel Tschechien und die Slowakei haben ihre Grenzen schon früher abgeriegelt. Und sie haben nicht nur die Einreise von Ausländern de facto verboten, sondern auch ihre eigenen Bürger am Verlassen des Landes verhindert.

Jetzt, etwas mehr als zwei Monate später, scheint die Coronavirus-Pandemie in den meisten europäischen Ländern vorerst im Griff zu sein. Alle Staaten fahren ihre Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben langsam wieder hoch. Bleibt die Frage: Wann machen die Grenzen auf? Abgesehen davon, dass sie gemäß EU-Recht, Schengener Abkommen und der Meinung vieler Epidemiologen eigentlich gar nicht zu sein sollten, fällt mit dem Zurückgehen der Infektionszahlen jetzt auch jedwede auch nur ansatzweise sachliche Begründung für eine weitere Aussetzung der europarechtlich garantierten Reisefreiheit.

Eine Öffnung, die keine ist

Letzten Freitag schien es Hoffnung für Pendler, Touristen, Lastwagenfahrer und überzeugte Europäer zu geben: „Grenzen zu Nachbarländern öffnen wieder“, „Ab 0 Uhr nur noch Grenzen zu Italien, Slowenien zu“, titelten alle Online Portale des Landes. Hintergrund war eine überraschend veröffentliche Aussendung von Europaministerin Karoline Edtstadler, Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer, die eine Lockerung der Kontrollen schon ab Samstag in Aussicht stellte. Wer diese Mitteilung allerdings etwas genauer las und kritisch betrachtete, musste sich fragen, ob das tatsächlich wieder Reisefreiheit bedeuten würde. Denn die österreichische Bundesregierung kündigte zwar an, bisher gänzlich geschlossene Grenzübergänge zu Ungarn, Tschechien und der Slowakei zu öffnen. So, wie das einige Tage zuvor auch für Deutschland, Liechtenstein und die Schweiz angekündigt worden war. Außerdem sollten allen Grenzübergängen nur mehr stichprobenartige Kontrollen durchgeführt werden. Doch an den rechtlichen Beschränkungen für den Grenzübertritt ändert sich vorerst nichts: Nach wie vor braucht es triftige Gründe zum Überschreiten der Staatsgrenze und nach der Rückkehr aus dem Ausland sind entweder ein privat zu bezahlender negativer Test auf eine Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus Sars-Cov-2 oder eine vierzehntägige Quarantäne nötig. Ein typisch österreichische Lösung eben: Der Grenzübertritt bleibt für die allermeisten Bürger zwar verboten, wir kontrollieren es halt nicht mehr so streng und wer sich auskennt, kann über einen der bisher geschlossenen kleinen Übergänge unbehelligt entwischen. Sofern es die Nachbarländern gestatten.

Denn mit diesen Nachbarländern – abgesehen von Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz – dürfte in den beteiligten drei Bundesministerien niemand gesprochen haben, bevor diese merkwürdige Presseaussendung an einem Freitagnachmittag an die Öffentlichkeit ging. Tschechien, die Slowakei und Ungarn sahen sich deshalb in den darauffolgenden Stunden und Tagen dazu veranlasst, auf die weiterhin geltenden strikten Einreisebeschränkungen für Ausländer hinzuweisen. „Grenzkontrollen gelockert: Einreise aus touristischen Gründen nicht erlaubt“, „Warum sich an den Grenzen wegen Corona so bald nichts ändert“, schrieben die heimischen Medien dann zu Beginn dieser Woche. Freilich waren diese Artikel nicht mehr so prominent positioniert und so reißerisch betitelt wie die Meldung über die vermeintliche Öffnung am Freitag. Einmal kurz nachdenken, vielleicht sogar nachfragen oder recherchieren: Das hätte sich in diesem Fall mehr als bezahlt gemacht. Und schön langsam müsste man derartigen Aussagen und Aussendungen der österreichischen Bundesregierung mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen. Es ist ja beileibe nicht die erste Ankündigung, die mehr Verwirrung stiftet als sie neue Informationen oder Antworten auf drängende Fragen liefert. Aber in Zeiten der Online-Portale und der Klickzahlen als neuer Währung im Journalismus und Online-Marketing ist für solche Hinterfragungen keine Zeit mehr.

Peinliches Hickhack mit Slowenien

Ein besonderes Meisterstück haben sich Bundesregierung und auch die heimischen Medien in Bezug auf die Grenzöffnung zu Slowenien geleistet: „Slowenien öffnet Grenzen für EU-Bürger“ war am vergangenen Freitag in vielen Zeitungen zu lesen. Tatsächlich hatte die Regierung in Ljubljana die Covid-19-Pandemie am Donnerstag für beendet erklärt und die Einreise für EU-Bürger ab Freitag erlaubt. Doch Österreich dachte nicht daran, da mitzuziehen. Ein kurzer Besuch bei den slowenischen Nachbarn, etwa zum Einkaufen in Maribor oder zum Wandern in den Karawanken hätte für Österreicher bei der Rückkehr die Vorlage eines aktuellen Gesundheitszeugnisses oder eine zweiwöchige Quarantäne bedeutet. Offensichtlich verärgert über die Haltung Österreichs zog schließlich auch Slowenien seine Öffnung wieder zurück. Man vermisse die Gegenseitigkeit, hieß es aus Ljubljana. Auf der anderen Seite ist das Argument Österreichs, durch die pauschale Grenzöffnung Sloweniens könnten auch Menschen aus dem immer noch stark von der Covid-19-Pandemie betroffenen Italien unkontrolliert einreisen, nicht von der Hand zu weisen. Da hilft nur eines: Miteinander reden und gemeinsam ein Konzept erarbeiten. So, wie das unter europäischen Nachbarstaaten eigentlich völlig selbstverständlich sein sollte.

Diese peinliche Posse ist der vorläufige Höhepunkt des wochenlangen Tohuwabohus rund um die unüberlegte Schließung der offenen Grenzen in Europa: Pendler kamen nicht mehr zur Arbeit, Familien wurden auseinandergerissen, der Wirtschaftsverkehr durch lange Staus ausgebremst. Nicht einmal an die Menschen im nur über deutsches Staatsgebiet erreichbaren Vorarlberger Kleinwalsertal hatte man gedacht: Sie waren durch die Grenzschließung wochenlang de facto von der Außenwelt abgeschnitten. Auch ganz banale Probleme stellten sich: Etwa die Erreichbarkeit von im Nachbarland gelegenen Feldern oder die Versorgung von jenseits der Grenze weidenden Tieren. Gerade in stark miteinander vernetzten Regionen wie dem Bodenseeraum aber auch im Grenzgebiet zwischen Oberösterreich bzw. Salzburg und Bayern sowie im Großraum Wien, Niederösterreich, Burgenland, Slowakei und Ungarn haben sich die Menschen längst an die offenen Grenze gewöhnt und ihr Leben und Arbeiten danach ausgerichtet. Mit einem Mal standen sie vor Absperrungen und mehr oder weniger freundlichen Polizisten und Soldaten. Zwar verkündeten Bundes- du Landesregierungen nach zähem Ringen einige Erleichterungen für den kleinen Grenzverkehr. Doch auch die waren – wie so vieles – unklar formuliert und schlecht kommuniziert. Das bedeutete für viele Betroffene jeden Tag aufs Neue nervenaufreibende Diskussionen mit überforderten und nicht oder schlecht informierten Beamten dies- und jenseits der Grenzbalken und nicht selten das Umkehren vor der Grenze.

Es braucht europaweit einheitliche Regeln

Das zeigt einmal mehr deutlich, dass viele der Versprechungen und Ankündigungen der österreichischen Bundesregierung das Papier, auf dem sie veröffentlicht sind, nicht wert sind. Und es ist ein weiterer Beweis dafür, dass es dringend eine europaweit einheitliche Strategie zur Wiederöffnung der Grenzen braucht. Wenn die EU das aus eigenem Unvermögen oder mangels Unterstützung der einzelnen nationalen Regierungen nicht hinbekommt, sollten wenigstens die Nachbarstaaten untereinander Absprachen treffen, bevor sie ihre Bürger mit konfusen und nicht der Realität entsprechenden Verlautbarungen zum Narren halten. Einer der wenigen, der das beherzigt. Ist der deutsche Außenminister Heiko Maas: Er hat letzte Woche im Deutschlandfunk genau solche einheitlichen Regelungen in Absprache mit den einzelnen Ländern angekündigt. Eine Selbstverständlichkeit im angeblich geeinten Europa, sollte man meinen. Ist es leider nicht. Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum nicht.

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Blick vom niederösterreichischen Marchfeld auf die Hochhäuser in den Vororten von Bratislava – Foto: Daniel Kortschak

Wie bitter diese Sperrmaßnahmen an den Grenzen sind, habe ich kürzlich selbst bei einer Fahrradtour von Wien durch die Donauauen und das Marchfeld erlebt: Plötzlich tauchen in der unendlichen Weite der Felder bunte Hochhäuser auf. Es sind die Siedlungen in den Vororten von Bratislava. Gäste aus der slowakischen Hauptstadt sind im strukturschwachen Abwanderungsgebiet Marchfeld eine willkommene Einnahmequelle: Alle touristischen Hinweise in der Region sind auch auf Slowakisch vorhanden, das herrschaftliche Schloss Hof wirbt aktiv um Besucher aus der Slowakei. Nur wenige Kilometer vom Barockschloss entfernt bietet die Fahrradbrücke der Freiheit (Cyklomost slobody) eine schnelle Verbindung für Fußgänger und Radfahrer über die March. Der österreichisch-slowakische Gemeinschaftsbau ist 2012 mit großem politischem Getöse eröffnet worden. Als ich acht Jahre später auf der schnurgeraden Zufahrtsstraße in Richtung der Brücke fahre, bemerke ich schon von weitem zwei Soldaten des Österreichischen Bundesheeres in ihren orangefarbenen Warnwesten. Als sie mich sehen, rücken sie ihre Sturmgewehre zurecht und beginnen wild zu gestikulieren. Als ich kurz vor der Brücke in einen Feldweg einbiege, wirken sie etwas enttäuscht, dass ich ihnen keinen Grund für eine Amtshandlung liefere. Schließlich bin ich weit und breit das einzige menschliche Wesen. Und wer weiß, wie lange sich schon niemand mehr in diesen verlassenen Winken Niederösterreichs verirrt hat.

Zustände wie in den Achtzigerjahren

Diese bizarre Begegnung erinnert mich an einen Ausflug mit meinen Eltern irgendwann im Sommer oder Herbst 1989: Nicht weit von der heutigen Brücke der Freiheit, allerdings auf dem anderen Ufer der Donau, standen wir mit unserem Auto auf einem Feldweg und schauten interessiert hinüber auf die damals schmutzig-grauen Plattenbauten von Bratislava. Sie waren so nah und doch unerreichbar: Uns gegenüber stand ein grimmiger tschechoslowakischer Grenzsoldat, die Kalaschnikow griffbereit umgehängt. Ungarn hatte zwar den Eisernen Vorhang geöffnet und das dortige kommunistische Regime lag in seinen letzten Zügen. Doch die Tschechoslowakei verteidigte ihre Grenze noch eisern, die Samtene Revolution steckte erst in ihren Kinderschuhen. An eine weitere Annäherung an die Grenze, die damals zwei völlig konträre politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Weltanschauungen trennte war nicht zu denken, geschweige denn an einen Übertritt. Auch wenn das der ältere Einheimische, der inzwischen mit seinem Hund des Weges gekommen war und sich für das Grazer Auto und seine Insassen zu interessieren begann, anders sah: „No, wird a schiaßn? Foat’s hoit umme.“

Ein ähnliches Déjà-vu sollte mir dann meine Fahrt zum Bahnhof Marchegg bescheren: Neben der spärlich befahrenen Landesstraße, die durchs buchstäbliche Nichts führt, taucht auf einmal in der Zufahrt zu einer Forststraße ein tarngrüner Pickup auf. Zwei Soldaten des Österreichischen Bundesheeres beobachten die menschenleere Umgebung und die wenigen vorbeifahrenden Autos genau. Als Radfahrer erwecke ich ihre besondere Aufmerksamkeit und warte schon darauf, dass sie den Motor starten und die Verfolgung aufnehmen. Oder mich ein paar Hundert Meter weiter die Polizei stoppt. So, wie ich das aus meinen Besuchen in Ungarn in den späten 1980er-Jahren kenne: Kaum hatte man die schikanöse Grenzkontrolle endlich hinter sich gelassen und wähnte sich zunächst einmal sicher vor den Belästigungen durch übereifrige Beamte, sprangen schon Soldaten oder Polzisten aus dem Straßengraben, winkten mit einer roten Kelle und das nervige Frage-Antwort-Spiel und die penible Kontrolle aller Papiere gingen von vorne los.

Die Pandemie als Nährboden für nationalistische Phantasien

Doch an diesem bewölkten Nachmittag im Mai 2020 geschieht nichts dergleichen. Ich erreiche unbehelligt den Bahnhof Marchegg und steige in den vollkommen leeren Regionalexpress nach Wien. Ohne Fahrgäste aus Bratislava ist der Zug seiner Existenzberechtigung weitgehend beraubt und die großen Investitionen, die kürzlich in den früher verschlafenen Provinzbahnhof getätigt wurden, erscheinen surreal: Moderne Bahnsteige, nagelneue Schienen und funkelnde Oberleitungsmasten. Die zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie zweigleisige, inzwischen zur eingleisigen, dieselbetriebenen Lokalbahn verkommene einstige Hauptstrecke Wien – Preßburg – Budapest wird gerade elektrifiziert und auf zeitgemäßen Hochleistungsstandard gebracht. Im Jahr 2023 sollen die Züge zwischen den beiden am nächsten zueinander gelegenen EU-Hauptstädten nur mehr 40 Minuten statt wie bisher eine gute Stunde lang unterwegs sein. Bis dahin ist hoffentlich die volle Reisefreiheit wieder hergestellt. Im Sinne des geeinten Europa und der guten Nachbarschaft mit ihren engen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen. Und aus rein sachlichen Gründen: Denn angesichts der niedrigen Corona-Infektionszahlen beiderseits der Grenze fragt man sich, wer da eigentlich wen vor wem schützt. Und es drängt sich der Verdacht auf, dass engstirnige und kurzsichtige Politiker dies- und jenseits der March die Covid-19-Pandemie gerade dazu missbrauchen, ihre nationalistischen Abschottungsphantasien auszuleben und ihre Law-and-Order-Visionen rücksichtslos durchzusetzen.

Renaissance der Zackenbahn: eine tschechisch-polnische Erfolgsgeschichte

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Moderner Dieseltriebwagen der Tschechischen Bahnen (ČD) in der Haltestelle Harrachov im Februar 2019. (Foto: Daniel Kortschak)

Von Daniel Kortschak

Schon seit Jahren verbringe ich einen Teil meines Winterurlaubs im böhmischen Isergebirge. Begonnen habe ich damit während meiner Zeit in Prag. Und weil es dort so schön ist, habe ich diese Tradition beibehalten. Dazu trägt auch die erstklassige Erreichbarkeit der Langlaufloipen mit öffentlichen Verkehrsmitteln bei. Eine besondere Erfolgsstory im Verkehrssystem der Region Liberec ist die Bahnstrecke von Liberec über Tanvald nach Kořenov und die anschließende Zackenbahn nach Harrachov und weiter nach Polen. In den späten Neunzigerjahren schon einmal eingestellt, erlebt diese Gebirgsbahn seit einigen Jahren eine beispiellose Renaissance.

Die Zackenbahn im Iser- und Riesengebirge war eine der ersten elektrifizierten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Auf der knapp 50 Kilometer langen Gebirgsstrecke von Hirschberg im Riesengebirge (heute Jelnia Góra) nach Polaun/Grünthal (heute Kořenov) gab es mit Jakobsthal (heute Jakuszyce) auch den höchst gelegenen Bahnhof Preußens. Ab 1923 fuhren moderne Elektrotriebwagen über die Strecke. Nach nur 22 Jahren war aber Schluss mit dem modernen Bahnbetrieb: Nach dem Zweiten Weltkrieg endete der Verkehr über die neue Staatsgrenze zwischen Polen und Tschechien. Die elektrische Oberleitung wurde abgebaut und ging als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Einzelne verrostete Masten blieben über über Jahrzehnte ungenützt im Wald stehen: quasi als Mahnmal für den Untergang der Verbindung in der Folge des verheerenden Weltkriegs.

Tschechisch-polnischer Gebietstausch

Auf tschechischer Seite lief der Betrieb zunächst nur bis in den früheren preußisch-österreichischen Grenzbahnhof Kořenov (Polaun/Grünthal) weiter : Auf der einzigen Zahnradbahn des Landes blieb der regelmäßige Personen- und Güterverkehr aufrecht. Ein Gebietstausch zwischen Polen und der Tschechoslowakei im Jahr 1958 sorgte dafür, dass die in Polen gelegenen Haltestelle Tkacze (früher Strickerhäuser, heute Harrachov) für die Anbindung des bekannten tschechischen Wintersportortes Harrachov genützt werden konnte. Nach Instandsetzung der Strecke und des imposanten Iserviadukts fuhren ab 1963 wieder Züge bis zur jetzt in Tschechien gelegenen Bahnstation Harrachov. Daran sollte sich bis in die 1990er-Jahre nichts ändern.

Auf polnischer Seite fuhren zunächst einzelne Züge bis Jakuszyce, die aber kaum frequentiert waren: Die gleichnamige Siedlung auf dem Neue-Welt-Pass an der Grenze zu Tschechien besteht nur aus einigen verstreuten Häusern. Zuerst noch bis zur Siedlung Huta unterwegs, endeten die polnischen Personenzüge schließlich für viele Jahre im Bahnhof Szklarska Poręba Górna. Der Wintersport- und Sommerfrischeort mit knapp 7000 Einwohnern sorgte für ausreichende Fahrgastfrequenz, in der Hauptsaison kommen hier auch Schnell- und Nachtzüge aus vielen Teilen Polens an, unter anderem aus Warschau.

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Die stillgelegte Zackenbahn zwischen Harrachov und Jakuszyce im Jahr 2006. (Foto: Thalion 77 / Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Einige Jahre nach der politischen Wende in Polen und der Tschechoslowakei begannen sich in den 1990er-Jahren schließlich Eisenbahnfans für die seit fast vier Jahrzehnten brachliegende Strecke zu interessieren. Die Enthusiasten machten die zugewucherten Gleise sogar wieder provisorisch befahrbar und führten einzelne Sonderzüge über die Grenze. An einen planmäßigen Betrieb war aber nicht zu denken. Im Gegenteil: Im Herbst 1997 stellten die Tschechischen Bahnen die frühere Zahnradbahnstrecke Tanvald – Kořenov ein. Den Verkehr sollten Busse übernehmen, die direkt ins Zentrum des Touristenortes fuhren. Eine Privatbahn versuchte den Betrieb zu übernehmen, musste aber nach wenigen Monaten aufgeben. Auch die geplante Wiederaufnahme des grenzüberschreitenden Verkehrs nach Polen kam nicht zu Stande. Schließlich übernahmen wieder die Tschechischen Bahnen den Verkehr nach Harrachov. Hinzu kamen die Nostalgiefahrten mit den historischen Zahnradbahnloks im Sommer. Auch Pläne für einen Wiederaufbau der Strecke nach Polen wurden fortan wieder geschmiedet. Sie verliefen im Sand. „Kein Bedarf“, hieß es von Politikern auf beiden Seiten der Grenze. „Wer sollte mit diesen Zügen fahren?“ So blieb es beim saisonal sehr unterschiedlich dichten Betrieb in die entlegene Haltestelle Harrachov und den Sonderzugfahrten. Die Gleise Richtung Polen blieben ungenützt, die Fahrleitungsmasten rosteten weiter vor sich hin.

EU-Beitritt sorgt für Bewegung

Bewegung in die Sache kam erst wieder mit dem EU-Beitritt von Polen und Tschechien im Jahr 2004: Jetzt winkten Fördergelder für den Wiederaufbau der Strecke. Dennoch blieb die Skepsis über den Nutzen eines grenzüberschreitenden Bahnbetriebs. Doch 2008 war es schließlich so weit: Auf Betreiben von Eisenbahnfreunden und der sehr bahnfreundlichen Regionalregierung von Liberec wurde mit Polen der Wiederaufbau der Strecke vereinbart. Zwei Jahre später fuhr der erste Sonderzug für geladene Gäste über die Grenze bis nach Szklarska Poręba Górna. Doch der planmäßige Personenverkehr scheiterte zunächst an rechtlichen und technischen Hürden: Das polnische Eisenbahnamt bestand auf einem direkten Telefonkabel zwischen dem Fahrdienstleiter in Tanvald und seinem Kollegen in Szklarska Poręba Górna. Schließlich genügten dann doch das öffentliche Telefonnetz und Mobiltelefone als Rückfallebene. Ab Ende August 2010 fuhren dann endlich moderne polnische Dieseltriebwagen von Kořenov nach Szklarska Poręba Górna. Betreiber auf tschechischer Seite war die Privatbahn Viamont Regio: die staatlichen Tschechischen Bahnen hatten nach wie vor kein Interesse am Betrieb über die Grenze. Es musste in Kořenov oder Harrachov umgestiegen werden, durchgehende Fahrkarten gab es keine. Und bei der Rückfahrt aus Polen konnte nur mit polnischen Złoty bezahlt werden. Trotz dieser wenig fahrgastfreundlichen Lösung waren die Züge gut besetzt. Vor allem im Winter zog es zahlreiche Langläufer in das große nordische Skisportzentrum Jakuszyce mit seinen vielen Kilometern Langlaufloipen.

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Dieseltriebwagen der polnischen Regionalbahn Koleje Dolnośląskie (Niederschlesische Bahnen) in der Haltestelle Szklarska Poręba-Jakuszyce im Jänner 2011. (Foto: Daniel Kortschak)

Dennoch verschwanden die modernen polnischen Triebwagen bald wieder von der Strecke: Sie wurden auf anderen Strecken in Polen gebraucht. Fortan fuhren betagte Nebenbahntriebwagen der Reihe 810 von Kořenov nach Szklarska Poręba Górna. Die von der inzwischen in GW Train Regio umbenannten tschechischen Privatbahn in der Slowakei aufgetriebenen Fahrzeuge genügten dem starken Andrang kaum. Wieder auf Betreiben der Region Liberec wurde ein Konzept für durchgehende Züge von Liberec über Tanvald und Harrachov nach Szklarska Poręba Górna erarbeitet. Dazu musste allerdings die eingleisige Haltestelle Harrachov zur Ausweiche erweitert werden, damit sich die Züge dort begegnen können. Das war erstaunlich schnell geschafft.

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Triebwagen der tschechischen Privatbahn GW Train Regio in der Haltestelle Szklarska Poręba-Jakuszyce im März 2015. (Foto: Daniel Kortschak)

Seit 2015 fahren die modernen tschechischen „Regio Spyder“-Triebwagen durchgehend von Liberec über Tanvald und Harrachov nach Szklarska Poręba Górna. Auch das tschechische Zugpersonal ist dabei durchgehend an Bord. Dazu mussten Schaffner und Lokführer extra Polnischkurse absolvieren. Selbstverständlich werden auch durchgehende Fahrkarten angeboten und das zu einem Vorteilspreis. Die Bezahlung ist in Tschechischen Kronen, Polnischen Złoty und Euro möglich. Damit ist auch das Feilschen mit dem bisweilen sehr ruppigen polnischen Zugpersonal entfallen, das bei Zustieg in Polen auf die Bezahlung mit Złoty bestanden hatte. Und das bitte möglichst genau in Münzen. Wehe, man hatte nur Kronen oder einen größeren Złoty-Schein dabei. Da mussten sich dann die Fahrgäste selbst mit dem Wechseln aushelfen. Jetzt verkauft das freundliche tschechische Zugpersonal die Fahrkarten in allen drei Wäahrungen direkt im Zug, auch Tipps, wo man am besten seine Langlauf- oder Wandertour starten kann, haben die Schaffner der Tschechischen Bahnen (ČD) stets parat.

Volle Züge und immer dichterer Fahrplan

Das gute Angebot zeigt Wirkung: Die Züge sind ausgesprochen stark frequentiert, an den Wochenenden in der Hauptsaison fahren bis zu drei zusammengekuppelte Triebwagen auf der Zackenbahn. Und der Fahrplan ist bisher jedes Jahr ausgeweitet worden: Inzwischen fahren die Züge in der Winter- und Sommerhauptsaison nahezu den ganzen Tag über im Stundentakt. Trotzdem stoßen die Triebwagen häufig an ihre Kapazitätsgrenzen, vor allem an schönen Wochenenden wird’s mitunter ordentlich eng in den Zügen. Das hätten sich vor 15 Jahren wohl die größten Optimisten nicht vorzustellen gewagt. Und die Kritiker, die die Reaktivierung der grenzüberschreitenden Zackenbahn als Eisenbahnspielerei auf Kosten der Steuerzahler und gewaltige Fehlinvestition abtun wollten, sind eines Besseren belehrt worden.

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Trotzdem: Nichts ist perfekt. Etwa die Haltestelle Szklarska Poręba Jakuszyce, heute mit 886 m die höchstgelegene Bahnstation Polens: Sie befindet sich einige Hundert Meter abseits des großen nordischen Skistadions mit seinen Geschäften, Imbissständen und Garderoben und besteht nur aus einer schlichten Holzhütte. Dabei führt die Bahnstrecke direkt am nordischen Zentrum vorbei und es wäre wohl genug Platz für eine Haltestelle vorhanden. Viel fahrgastfreundlicher präsentiert sich da die Haltestelle Harrachov auf der tschechischen Seite: Es gibt einen sauberen Warteraum und im ehemaligen Gepäckschalter ist ein Buffet eingerichtet: Dort gibt’s den ganzen Tag über kleine Speisen sowie kalte und warme Getränke. Auch einige Tische und Sessel sind in dem liebevoll eingerichteten und sehr gepflegten Bahnhofsbuffet vorhanden. Im Sommer lädt ein kleiner Gastgarten direkt am Bahnsteig zum Verweilen ein. Und für den Anschluss an den einige Kliometer weiter unten im Tal gelegenen Wintersportort Harrachov sorgt eine eigene Buslinie, die selbstverständlich auf die aus Liberec und Polen ankommenden Züge wartet.

Tolles Öffi-Angebot für Wintersportler

Auch an anderen Stellen reagiert die Region Liberec sehr flexibel auf die hohe Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsverbindungen: Das Langlaufzentrum Bedřichov oberhalb der Kreishauptstadt Liberec erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Schon vor einigen Jahren ist deshalb die Stadtbuslinie 18 bis zum nordischen Stadion verlängert worden. Sie ergänzt die regionalen Skibuslinien und die Stadtlinien aus der Nachbarstadt Jablonec nad Nisou. Trotzdem kommen viele Wintersportler mit dem Auto. An schönen Tagen sind deshalb schon ab den frühen Morgenstunden alle Parkplätze besetzt. Entlang der schmalen Straße parkende Langläufer und Autofahrer auf Parkplatzsuche sorgen dann regelmäßig für ein Verkehrschaos, in dem dann auch die Busse steckenbleiben. Anfang 2019 ist der Skibusverkehr massiv ausgeweitet worden: An Wochenenden fahren die von der Region finanzierten Busse im Halbstundentakt. Und die Polizei hindert Autofahrer daran, die Straßen zu verstopfen. Sie müssen im Zweifelsfall unten in LIberec parken und mit dem Skibus zur Loipe fahren.

Ein ähnliches Problem zeigte sich am Berggasthaus Smědava, wo sich ebenfalls ein beliebter Einstiegspunkt für Langläufer in die Isergebirgsmagistrale befindet. Auch dorthin ist der Busverkehr jetzt massiv ausgeweitet worden, neben einem deutlich verdichteten Takt werden einzelne Buskurse außerdem mit zwei Fahrzeugen geführt. Wegen das chronischen Mangels an Busfahrern in ganz Tschechien stellt das für die Region und die Busunternehmen eine große Herausforderung dar. Eine Herausforderung, die sich aber bezahlt macht: Die zusätzlichen Fahrten werden sehr gut angenommen, nicht zuletzt wegen der guten Abstimmung auf die im Bahnhof Hejnice ankommenden Regionalzüge. Wird dort jetzt noch die Bushaltestelle wie geplant direkt an den Bahnhof verlegt, ist die Verbindung perfekt.

Diese Beispiele aus der seit Jahren besonders um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bemühten Region Liberec zeigen: So schaut ein gutes Öffi-Angebot aus. Günstig, praktisch und fahrgastfreundlich. Und die Kunden nehmen es begeistert und in großer Zahl an.

Der Weg nach Liberec mit Öffis ist weit

Schon etwas weniger einfach ist allerdings die Anreise von Österreich nach Liberec: Es ist die einzige der 13 tschechischen Regionalhauptstädte, die keine direkte Zugverbindung mit Prag hat. Von Wien bietet sich die Fahrt mit dem Railjet bis Pardubice und dann weiter mit dem Schnellzug nach Liberec an. Einigermaßen unattraktiv ist dabei allerdings die fast einstündige Umsteigezeit. Wenigstens gibt es im großen Knotenbahnhof Pardubice mehrere Cafés, Kioske und auch noch ein einigermaßen gepflegtes Bahnhofsrestaurant, wo man die Wartezeit gut verbringen kann. Auch die anschließende fast drei Stunden lange Fahrt mit dem Dieselschnellzug verlangt einem einiges an Geduld und Sitzfleisch ab. Die schöne und immer gebirgiger werdende Landschaft, die dabei vor den Fenstern vorbeizieht, entschädigt aber für die lange Fahrt.

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Dieselschnellzug nach Pardubice im Bahnhof Liberec im Februar 2018. (Foto: Daniel Kortschak)

Noch etwas umständlicher ist die Fahrt von Linz nach Liberec: Die Anschlüsse im Prager Hauptbahnhof passen überhaupt nicht zusammen, zudem ist die Bahn auf der Strecke Prag – Liberec mit einem Umstieg in Turnov mehr als doppelt so lange unterwegs wie der direkte Fernbus. Die von der Fahrplanauskunft vorgeschlagene Bahnfahrt von Linz via Wien und Pardubice ist ein ebenso großer, zeitraubender und teurer Umweg wie die ebenfalls angebotene Reise via Ústí nad Labem. Als praktikabelste Lösung erweist sich noch die Bahnfahrt mit einem der vier direkten Züge Linz – Prag und die Weiterfahrt nach Liberec mit dem Fernbus. Das bedeutet freilich, dass man vom Prager Hauptbahnhof zum Busbahnhof Černý most am östlichen Stadtrand muss. Eine Fahrt, die mit der U-Bahn gut 25 Minuten dauert und einen beschwerlichen Umstieg zwischen den Linien C und B bedeutet.

Auf der lukrativen Busverbindung Prag – Liberec liefern sich seit einiger Zeit der etablierte einheimische Betreiber Regiojet (früher: Student Agency) und der deutsche Fernbus-Multi Flixbus einen erbitterten Konkurrenzkampf. Das bringt den Fahrgästen günstige Preise und einen dichten Fahrplan. Zumindest so lange, bis einer der beiden Konkurrenten aufgeben muss. In Sachen Komfort hat Regiojet eindeutig die Nase vorne. Die Scania- und Volvo-Busse mit Irizar-Aufbau lassen keine Wünsche offen: Jeder Sitzplatz hat einen eigenen Bildschirm, Kopfhörer gibt’s an Bord zum Ausleihen. Im Fahrpreis inbegriffen ist neben der Sitzplatzreservierung auch eine Zeitung und ein heißes Getränk. Betreut werden die Fahrgäste von einer Stewardess. Zumindest in den meisten Verbindungen. Denn wegen des in Tschechien inzwischen allgegenwärtigen Arbeitskräftemangels werden einige Buskurse ohne Begleitpersonal geführt. Das ist im Fahrplan vermerkt und die Fahrkarten für diese Verbindungen sind um ein paar Kronen billiger. Dafür gibt’s dann kein Heißgetränk. Bei einer Fahrzeit von gerade einmal einer Stunde ist das zu verschmerzen. Der Transport von großen Gepäckstücken und Skiern ist bei Regiojet auch kein Problem: Der kleine Aufpreis von umgerechnet gerade einmal 80 Cent für ein paar Skier ist wirklich kein Thema. Und wenn man das Sperrgepäck schon beim Kauf der Fahrkarte anmeldet, kann man sicher sein, dass auch genug Platz dafür vorhanden ist. Sehr praktisch ist auch die Möglichkeit, die Busfahrkarten bis 15 Minuten vor der Abfahrt zu stornieren oder umzubuchen. Und das kostenlos.

Brauchbare Bahnverbindung Linz – Prag

Die Bahnfahrt von Linz nach Prag ist mit den vor einigen Jahren eingeführten durchgehenden Expresszügen ebenfalls stressfrei zu bewältigen. Eher unpraktisch ist allerdings die Fahrplanlücke von 6.35 Uhr bis 11.52 Uhr, die die Flexibilität stark einschränkt. Und dass der Frühzug ab Linz bis zur tschechischen Grenze als S-Bahn geführt wird und in allen Stationen hält, trübt den Reisekomfort auch deutlich. Hinzu kommen häufige Bauarbeiten mit Schienenersatzverkehr auf der Strecke. Vor allem in Tschechien kommt da auf die Fahrgäste heuer einiges zu: Wegen des fortschreitenden Ausbaus der Strecke Budweis – Prag zur modernen Hochleistungsstrecke gibt es immer wieder längere Sperren, die zum Teil auch recht kurzfristig erfolgen. Mich hat es auf der Rückfahrt von Liberec ebenfalls getroffen. Zum Glück hat mich die hervorragende App der Tschechischen Bahnen (ČD) rechtzeitig über den Schienenersatzverkehr und die vorverlegte Abfahrt in Prag informiert. Auch die Zugchefin hat mich bei der Fahrkartenkontrolle noch einmal ausführlich über die Sperre informiert. Der Schienenersatzverkehr selbst war – wie in Tschechien üblich – hervorragend organisiert: Für die vielen Reisenden an diesem Freitagmittag standen nicht weniger als zehn Ersatzbusse bereit. Fahrräder, Kinderwagen und sperrige Gepäckstücke wurden mit extra Lieferwagen transportiert. Dank der sportlichen Fahrweise der Buslenker hielt sich auch die Verspätung in Grenzen. Da sollten sich einige andere europäische Bahnen einmal anschauen, wie man einen Schienenersatzverkehr reibungslos und so kundenfreundlich wie möglich organisiert.

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Busse und Lieferwagen des Schienenersatzverkehrs im Bahnhof Chotoviny. (Foto: Daniel Kortschak)

Dank dieser intensiven Bauarbeiten wird sich die Fahrzeit von Budweis nach Prag in ein paar Jahren noch weiter verkürzen. Davon profitieren dann natürlich auch die Fahrgäste auf der Strecke Linz – Prag. Auch wenn der Ausbau der Strecke auf de österreichischen Seite leider noch viele Jahre auf sich warten lassen wird. Eine weitere Verbesserung erwartet die Fahrgäste auf dieser Strecke schon heuer im Dezember: Die vier durchgehenden Zugpaare Linz – Prag sollen einen Bistrowagen bekommen. Er ersetzt die bisher nur zwischen Budweis und Prag angebotene Minibar. Da wird sich dann wohl auch der eine oder andere oberösterreichische Pendler ein gutes und günstiges tschechisches Feierabendbier und vielleicht sogar ein schnelles Gulasch dazu genehmigen.

Mit der Bahn kreuz und quer durch die Hohe Tatra

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Ein Zug der Elektrischen Tatrabahnen (TEŽ) im Abzweigebahnhof Starý Snokovec. (Foto: Daniel Kortschak)

Von Daniel Kortschak

Ein spontaner Wochenendausflug hat mich in die Hohe Tatra geführt. Natürlich mit der Bahn. Und auch vor Ort ist man mit den Elektrischen Tatrabahnen (TEŽ) ohne Auto bestens mobil.

Nach der Anreise mit dem durchgehenden Intercity aus Wien und einem kurzen Abendspaziergang durch Poprad stand eine Nacht im Tatra Hotel an. Sie war nicht besonders erholsam. Dafür haben „nette“ Zimmernachbarn gesorgt, die um zwei und um drei Uhr morgens gemeint haben, laut auf dem Gang herumbrüllen zu müssen. Das ist schnell vergessen, als mich am nächsten Morgen Poprad mit strahlendem Sonnenschein begrüßt. Aus meinem Zimmerfenster sehe ich hauptsächlich auf die benachbarten Plattenbauten und die Hügel, die sich in der Ferne aus dem Nebel abheben. Vom Raucherbalkon auf der anderen Seite des Hotels ergibt sich aber ein atemberaubender Blick auf die 2.000 bis über 2.500 Meter hohen und schon leicht mit Schnee bedeckten Gipfel der Hohen Tatra. Getrübt wird diese Aussicht allerdings durch die beiden riesigen Supermärkte, die man an den Rand der Innenstadt von Poprad geknallt hat, dazu noch die riesigen, völlig kahlen Parkflächen. Ein Musterbeispiel für maximale Flächenverschwendung und extreme Bodenversiegelung.

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Herrliche Aussicht auf die Hohe Tatra. Leider getrübt durch die Blech- und Betonklötze der Supermärkte im Vordergund. (Foto: Daniel Kortschak)

Trotzdem – und mit schlechtem Gewissen – lande auch ich auf dem Weg zum Bahnhof in einem dieser Monster-Märkte. Es ist die nächstgelegene Möglichkeit, sich mit etwas Proviant einzudecken und ein paar Mitbringsel zu kaufen. Mir macht es keinen Spaß zwischen allerlei Ramsch und Körben voller Aktionsware die paar Dinge zusammenzusuchen, die ich kaufen möchte. Die Poprader scheinen das anders zu sehen: Sie sind schon am frühen Sonntagmorgen zahlreich und mit Begeisterung am Einkaufen.

Auf dem weiteren Weg zum Bahnhof quere ich den Busbahnhof. Auch hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Das riesige Terminal mit seinen Dutzenden von Bussteigen präsentiert sich im Zustand der Achtzigerjahre. Allerdings ist das Relikt aus früheren Zeiten sehr gepflegt: Die Dachsäulen und die Sitzbänke sind frisch gestrichen, die Haltestellenbereiche sauber gekehrt.

Ganz ähnlich ist der Zustand des Bahnhofs Poprad-Tatry: Auch er kann seine Entstehung zu Zeiten der ČSSR nicht verleugnen. Aber alle wesentlichen Ausstattungsmerkmale wie Rolltreppen, Anzeigetafeln oder Sitzbänke sind erneuert worden. Und auch hier fällt die Sauberkeit sehr positiv auf. Auf dem Weg zur oberen Bahnhofsebene, wo die Elektrischen Tatrabahnen (TEŽ) abfahren, versuche ich noch am Fahrscheinautomaten eine Tageskarte für diese schaffnerlos betriebenen Bahnen zu kaufen. Das gelingt erst nach einigen Versuchen: In Sachen Bedienfreundlichkeit ist der Apparat auf dem Niveau der 1990er-Jahre stecken geblieben. Nach einigen Fehlwürfen habe ich endlich zwei Zwei-Euro-Stücke gefunden, die der Automat anzunehmen bereit ist. Aber ich will mich nicht beklagen: Für vier Euro einen ganzen Tag kreuz und quer durch die Hohe Tatra fahren zu können ist ein mehr als günstiges Angebot.

Auf schmaler Spur und elektrisch entlang der Hohen Tatra

Die für die Bahnhöfe in Tschechien und der Slowakei so typischen ausführlichen automatischen Durchsagen kündigen neben dem Schnellzug nach Bratislava und dem Intercity nach Košice auch schon den „Elektrischen Lokalbahnzug nach Štrbské Pleso über Starý Smokovec, Abfahrt: 9 Uhr 34 Minuten, auf Gleis Zwei der Bahnsteige der Elektrischen Schmalspurbahn“ an. Und dort steht auch schon der Zug bereit: Er besteht aus zwei jener Schmalspurtriebwagen, die die Slowakischen Eisenbahnen um die Jahrtausendwende beim Schweizer Hersteller Stadler gekauft haben, um die betagten Garnituren aus einheimischer Produktion abzulösen. Und die Doppelgarnitur wird an diesem sonnigen Sonntagmorgen auch dringend gebraucht: Der Fahrgastandrang ist beachtlich. Neben einer größeren Kindergruppe sind auch unzählige Wanderer, Touristen und Senioren im Zug. Im vorderen Zugteil finde ich aber noch einen freien Sitzplatz. Auch für meinen Rucksack ist in der geräumigen Gepräckablage genügend Platz. Für Fahrräder und Skier sind ebenfalls entsprechende Halterungen vorhanden.

Bevor ich endgültig Platz nehme, stemple ich noch meine Fahrkarte in einem der für Tschechien und die Slowakei so typischen gelben Straßenbahn-Entwerter ab. Die TEŽ werden wie städtische Verkehrsmittel im Selbstbedienungsmodus betrieben. Automatische Durchsagen auf Slowakisch und Englisch weisen nach jedem Halt auf diese besondere Betriebsform hin: „Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Fahrkarte an einem der Entwerter im Zug abzustempeln.“

Der Zug ist einmal mehr sehr sauber und gepflegt, die fast 20 Jahre, die er schon auf dem Buckel hat, sieht man ihm nicht an. Und er ist gnadenlos überheizt: Die Heizungskanäle, die unter den Sitzen entlang der Außenwand verlaufen, glühen beinahe. Ein Phänomen aus früheren Zeiten, als Heizenergie so gut wie nichts gekostet hat, das einem in der Slowakei noch heute sehr häufig begegnet.

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Schmalspur-Triebwagen der Elektrischen Tatrabahnen (TEŽ) vor der Abfahrt im Bahnhof Poprad-Tatry. (Foto: Daniel Kortschak)

Während sich der Zug am Fuße der beeindruckenden Bergkulisse immer weiter nach oben schlängelt, steigen an den Zwischenstationen immer mehr Fahrgäste zu. Den Abzweige- und Kreuzungsbahnhof Starý Smokovec erreicht die Triebwagengarnitur dann beinahe voll besetzt. Dort, am stattlichen Bahnhof, bewegen sich dann wahre Menschenmassen über die Bahnsteige: Sie steigen ein, aus oder um. Ich verlasse den Zug und sehe mich kurz am Bahnhof um: Im vorbildlich renovierten Bahnhofsgebäude finden sich neben – natürlich geöffneten – Personenkassen auch ein Imbissstand, ein Restaurant und sogar eine von den Slowakischen Eisenbahnen ŽSR betriebene Pension: Es ist die Personalunterkunft, die gegen entsprechende Nächtigungsgebühr auch externen Gästen offen steht. Eingerahmt wird der Bahnhof von einigen historischen Fachwerk-Villen, Pensionen und den unvermeidlichen Plattenbauten.

Nach kurzem Aufenthalt setzen sich die drei im Bahnhof angekommenen Züge wieder in Bewegung: Der Zug, mit dem ich aus Poprad gekommen bin, setzt seine Fahrt Richtung Štrbské Pleso fort, der Gegenzug fährt weiter nach Poprad und die dritte Triebwagengarnitur, in der ich Platz nehme, fährt nach Tatranská Lomnica. Die Fahrdienstleiterin gibt einem Zug nach dem anderen per Signalstab den Abfahrtsauftrag. Nach rund einer Viertelstunde erreiche ich Tatranská Lomnica, ein weiteres Touristenzentrum, das aus einigen historischen Gebäuden und vielen Betonkisten, von denen die meisten schon bessere Zeiten erlebt haben, besteht. Entlang der Strecke zeigen sich zu meiner Linken die steilen Abhänge der Hohen Tatra, rechts liegt im Dunst das weite Tal um Poprad. In der Endstation hält die elektrische Schmalspurbahn dann an einem schlichten, nicht überdachten Asphaltbahnsteig.

Nebenbahnidylle in Tatranská Lomnica

Gegenüber, nur durch einen Grünstreifen getrennt, liegt der Endbahnhof der normalspurigen, nicht elektrifizierten Lokalbahn Richtung Studený Potok. Vor dem hübschen, hölzernen Bahnhofsgebäude mit angeschlossener Restauration steht ein Dieseltriebwagen der Reihe 812 mit laufendem Motor. Es ist einer jener typischen zweiachsigen Nebenbahn-Triebwagen, die in den 1970er und 1980er Jahren zu Hunderten für die damaligen Tschechoslowakischen Staatsbahnen ČSD und die ungarische MÁV gebaut wurden und die in unterschiedlichen Modernisierungsvarianten bis heute das Rückgrat des Betriebes auf vielen Strecken bilden. Kurz vor der regulären Abfahrtszeit gibt der Lokführer im Leerlauf ordentlich Gas: Der kleine Motor muss bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt offenbar noch auf Betriebstemperatur kommen.

Ich mache mich schließlich mit demselben Zug, mit dem ich angekommen bin, auf den Rückweg nach Starý Smokovec. Dort angekommen bietet sich wieder das Schauspiel mit drei im Bahnhof stehenden Scchmalspur-Zügen und Dutzenden Menschen, die dazwischen umsteigen. Auch ich steige um, diesmal in den Zug Richtung Štrbské Pleso. Auf den kommenden 16 Kilometern schlängelt sich der Zug über beachtliche Steigungen, durch beängstigend enge Gleisbögen und über beindruckend kühne Viadukte durch die Ausläufer der Hohen Tatra. Viele der Zwischenstationen bestehen nur aus einem Schild, einer Sitzbank und einem Fahrplanaushang. Es sind aber auch richtige Bahnhöfe dabei, etwa Nová Polianka oder Vyšné Hágy, wo Fahrdienstleiter den Zugverkehr und die Kreuzungen mit dem Gegenzug regeln. Nach einer guten halben Stunde erreichen wir den Endbahnhof Štrbské Pleso.

Das in den steilen Hang gebaute Bahnhofsgebäude präsentiert sich im Orginalzustand der Siebzigerjahre. In der unteren Ebene liegen neben einem Postamt auch die Toiletten. Nachdem die TEŽ-Züge über keine WCs verfügen, führt mich mein erster Weg dorthin. Für 30 Cent „ausnahmslos im Voraus zu entrichten“, wie ein Schild mahnt, bekommt man nicht nur tadellos saubere Sanitäranlagen geboten, sondern von der freundlichen Aufsicht hinter einem Fensterchen auch einen eigenen Toilettenbenützungsschein ausgehändigt. Anschließend gehe ich in die obere Ebene, wo die große, mit viel Holz dekorierte Bahnhofshalle liegt. Sie ist mit Dutzenden Grünpflanzen vollgestellt, die das Personal hier zum Überwintern eingestellt hat. Auch hier gibt es Fahrkartenschalter und auch hier sind sie sonntags geöffnet. Außerdem lockt das große Bahnhofsrestaurant mit Szegediner Gulasch als Tagesgericht für 4,90 Euro.

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Zeitreise in die Siebziger: Bahnhofsrestaurant in Štrbské Pleso. (Foto: Daniel Kortschak)

Ich gehe trotzdem lieber zu dem altmodischen Verkaufspult, hinter dem ein älterer Mann von Zeitschriften, über Süßigkeiten bis hin zu Wanderkarten und Andenken alles anbietet, was das Touristenherz begehrt. Auch Postkarten verkauft er. Die Züge der Schmalspurbahnen dürfen da als Motiv nicht fehlen. Briefmarken gehören ebenfalls zum Sortiment. Leider sind die passenden Werte aber ausgegangen. Mit einer kreativen Stückelung – sechs Briefmarken à 20 Cent – und einer leichten Überzahlung –  Marken zu 1,30 statt der nötigen 1,20 Euro – bekommen meine Ansichtskarten schließlich trotzdem alle ihre Postwertzeichen.

Der ältere Mann amüsiert sich köstlich, als ich die sechs Marken mühsam auf der Karte drapiere und meint, ich solle doch eine Entschuldigung für den Postler draufschreiben: „Sorry, der Alte am Kiosk hatte keine passenden Marken mehr.“ Die Kommunikation klappt ohne Probleme: Ich spreche tschechisch, der Kioskbesitzer slowakisch. Wie gut, dass sich die beiden Sprachen so ähnlich sind. Und gut, dass man hier auf Touristen aus Tschechien eingestellt ist. Wenn dann ein Österreicher kommt, der tschechisch spricht, soll’s auch recht sein. Hauptsache, man versteht sich. Auch die Polen, die vor mir eingekauft haben, konnten sich ohne Probleme verständlich machen: Die Grenze verläuft direkt über den Tatra-Kamm, die Einheimischen kommen dementsprechend ganz gut mit der Sprache ihrer Nachbarn zurecht.

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Über Ästhetik kann man streiten: Buffet im Bergort Štrbské Pleso. (Foto: Daniel Kortschak)

Nach dem Einkauf mache ich mich auf zu einem kleinen Spaziergang durch den Bergort. Massive Hotelbauten aus verschiedenen Epochen, Souvenirläden und Imbissbuden mit schreiend bunten Reklameaufschriften und Körben voller Ramsch säumen den Weg Richtung See. Dieser glasklare Gebirgssee hat Štrbské Pleso seinen Namen gegeben. Deutlich eleganter als die Bauten direkt um den Bahnhof ist das historische Fachwerk-Hotel mit seinen verschieden großen Pavillons, das eine internationale Luxushotelkette um einigermaßen dezente und geschmackvolle Neubauten ergänzt hat. Hinter den großen Panoramascheiben des Wellness-Bereichs räkeln sich auffällig geschminkte und perfekt frisierte Frauen mittleren Alters. Hier entspannt sich ganz offenbar die reiche Oberschicht. Die großen Limousinen und protzigen SUV mit Kennzeichen aus Bratislava, Prag, Brünn, Warschau und Wien, die vor dem Hotel parken, unterstreichen diesen Eindruck.

Die Berge verstecken sich im Nebel

Vom beeindruckenden Panorama der Zweienhalbtausender, die direkt hinter dem See in den Himmel wachsen, ist leider nichts mehr zu sehen: Während meiner Fahrt von Starý Smokovec nach Štrbské Pleso ist dichter Nebel über die Gipfel der Hohen Tatra hereingezogen und es hat leicht zu schneien begonnen. Auch über das Tal und die gegenüberliegenden Hügel ist Nebel gezogen, das dadurch entstehende Panorama ist großartig. Nach dem Blick ins Tal von der Aussichtsterrasse beschließe ich, den See zu umrunden. Diese Idee haben außer mir auch noch unzählige weitere Sonntagsausflügler: Auf dem breiten Promenadenweg herrscht Betrieb wie in einer belebten Geschäftsstraße. Trotzdem genieße ich die gute Bergluft. Anschließend kaufe ich noch schnell an einem der zahlreichen Marktstände ein paar lokale Süßigkeiten und dann geht es zurück Richtung Bahnhof. Dort kündigt bald eine altmodische Durchsage des Fahrdienstleiters die Einfahrt meines Zuges an: „Elektrischer Zahnradzug nach Štrba fährt am Zahnradbahnsteig ein.“ Wenige Augenblicke später kriecht schon der betagte Triebwagen den Berg herauf. Der fast fünfzig Jahre alte, für die Wiedereröffnung der Zahnradbahn zur Alpinen Ski-WM 1970 in der Schweiz angeschaffte Triebwagen präsentiert sich innen wie außen perfekt in Schuss.

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Ein Zahnradtriebwagen der Elektrischen Tatrabahnen (TEŽ) bei der Einfahrt in die Bergstation Štrbské Pleso. (Foto: Daniel Kortschak)

Nach kurzem, aber intensivem Fahrgastwechseln geht es zurück Richtung Tal. Nach einer Zwischenstation auf einer Waldlichtung und grandiosen Ausblicken ins weite Tal erreichen wir den Zahnradbahnhof Štrba. Er liegt oberhalb der Schnellzugstation und ist mit dem historischen Bahnhof über Rolltreppen verbunden, die allerdings schon seit Jahren außer Betrieb sind. Ihren Betrieb eingestellt hat auch die Restauration „Zur Zahnradbahn“. Hinter verstaubten Scheiben hängen vergilbte Gardinen, „Geschlossen“ steht auf einem verwitterten Zettel.

Unten in der alten Bahnhofshalle bietet eine Konditorei ihre Köstlichkeiten an. Leider gibt es aber kein Bier. Deshalb muss ich auf das Bahnhofsbuffet am Hausbahnsteig ausweichen: Neben einem Verkauf direkt auf den Bahnsteig gibt es auch einen überdachten Vorgarten und zwei Biertische im Durchgang zum Bahnsteig. In seiner Aufmachung mit dem altmodischen Hinweisschild und den handgemalten hölzernen Reklametafeln ist das Buffet total aus der Zeit gefallen. Für mich werden Kindheitserinnerungen wach: An die Zeit, als es auch auf fast allen größeren und auch einigen kleineren Bahnhöfen in Österreich noch solche Buffets mit Bahnsteigverkauf gegeben hat. Inzwischen sind sie eine absolute Seltenheit geworden und nur noch ganz vereinzelt zu finden. Zum Beispiel in Vöcklabruck, in Hallein oder in Stainach-Irdning.

Kurze Stärkung im Bahnhofsbuffet

Zurück nach Štrba: Weil es immer kälter und ungemütlicher wird, entschließe ich mich, mir mein Bier im Inneren des Bahnhofsbufftes zu bestellen. Dort ist es zwar tatsächlich warm, der Raum ist allerdings so klein, dass darin neben der Schank und Regalen voller Flaschen und Süßigkeiten gerade zwei Tische Platz haben. Und die sind von Stammgästen belegt. Also hole ich mir mein Bier an der Theke und traue meinen Ohren kaum: Das große Bier vom Faß kostet tatsächlich nur einen Euro. Dann setze ich mich an den einzigen Tisch, den die zahlreichen Raucher freigelassen haben: Sie müssen ins Freie ausweichen, weil das strenge Rauchverbot in der Slowakei selbstverständlich auch für das Bahnhofsbuffet gilt. Und im Übrigen auch für alle Bahnsteige und sonstige Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. Deshalb sind die Rauchertische hinter dem Buffet angeordnet. So sind sie nicht mehr im überdachten Bahnsteigbereich und respektieren die Vier-Meter-Bannmeile von der Bahnsteigkante entfernt, in der nicht geraucht werden darf.

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Altmodisch: das Bahnhofsbuffet von Štrba. (Foto: Daniel Kortschak)

Ich schaffe es gerade so mein Bier auszutrinken und bei die Postkarten fertigzuschreiben, da kommt schon die Durchsage „Schnellzug 608 ‚Univesität Žilina‘ von Košice nach Bratislava fährt ein. Der Wagen Erster Klasse mit der Ordnungsnummer eins und der Speisewagen sowie der Wagen mit der fahrenden Gepäckaufbewahrung, dem reservierungspflichtigen Fahrradabteil und dem Abteil für Mütter mit Kleinkindern mit der Ordungsnummer zwei sind an der Zugspitze hinter der Lokomotive gereiht.“ Zum Glück hängt direkt am Bahnsteig ein Briefkasten. Unmittelbar danach fährt der Zug mit mehreren Minuten Vorsprung auf den Fahrplan auch schon ein. Mit seinen sage und schreibe 13 Wagen ist er eine mehr als beeindruckende Erscheinung. Und obwohl er so viele Waggons führt, ist er voll besetzt.

Zum Glück habe ich reserviert, sonst müsste ich die Fahrt bis Bratislava wohl wie so viele andere Fahrgäste auf der Einstiegsplattform, im Gepäckregal oder auf dem Fußboden verbringen. Die mehr als gute Auslastung der Züge hat einen einfachen Grund: Studenten und Senioren fahren in der Slowakei seit einigen Jahren völlig kostenlos in allen Zügen mit Ausnahme der Intercitys. Ich kämpfe mich zu meinem reservierten Platz durch. Leider ist er nicht explizit gekennzeichnet, sondern nur mit der allgemeinen und unter den Fahrgästen denkbar unbeliebten Bemerkung „Expressreservierung – bei Bedarf bitte freigeben“ versehen. „Express“ ist für die Slowakische Eisenbahngesellschaft offenbar ein sehr weit dehnbarer Begriff. Denn reserviert habe ich viele Tage im Voraus. Der junge Mann, der es sich auf meinem Fenstersitz bequem gemacht hat, macht aber sofort und ohne Murren Platz. In dem noch aus DDR-Produktion stammenden und später um Steckdosen und eine Klimaanlage ergänzten früheren Erste-Klasse-Waggon mit seinen gemütlichen, allerdings inzwischen reichlich speckigen roten Plüschsitzen genieße ich die Fahrt durch die wildromantische Landschaft: Brücken und Tunnels wechseln sich in rascher Folge ab, über die Flüsse Belá und Waag zieht Nebel.

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Der diskrete Charme der DDR: slowakischer Schnellzugwagen aus ostdeutscher Produktion. (Foto: Daniel Kortschak)

Nach etwa einer Stunde – mein Abteil ist inzwischen voll besetzt – beschließe ich, zu einem späten Mittagessen in den Speisewagen zu gehen. Kein einfaches Unterfangen, sich durch all die stehenden, auf Klappsitzen und auf dem Boden sitzenden oder an den Wänden lehnenden Fahrgäste zu quetschen. Ganze neun Waggons muss ich durchqueren, bis ich endlich das Bordrestaurant erreiche. Auch das ist sehr gut frequentiert. Aber an einem der wieder üppig gedeckten gedeckten Tische ist noch Platz. Schon wenig später kommt die ausgesprochen gut gelaunte Kellnerin und ich bestelle ein Wiener Schnitzel mit Stampfkartoffeln. Als ich vom Händewaschen zurückkomme, wird es in der Küche schon fleißig geklopft. Wenig später setzen sich noch ein slowakisches Pärchen und ein junger Tscheche zu mir an den Tisch. Wir sind uns schnell einig, dass der Speisewagen eindeutig der beste Platz in einem slowakischen Schnellzug ist. Als nach und nach und nach unser Essen gebracht wird, wünschen wir uns gegenseitig guten Appetit. Mein Schnitzel und die Kartoffeln schmecken ausgezeichnet. Und die Portion ist für den günstigen Preis von rund sechs Euro mehr als reichlich.

Irgendwann schaut auch der Schaffner vorbei. Der Tscheche am Tisch erkundigt sich nach seinem Anschlusszug Richtung Prag in Púchov. Wir haben nämlich ein wenig Verspätung ausgefasst, die wohl dem extrem hohen Fahrgastwechsel in den Zwischenstationen geschuldet ist. Der Schaffner antwortet mit einem Lächeln: „Seien sie beruhigt. Ich habe mit dem Dispatcher telefoniert. Der Express nach Olmütz und Prag wartet auf Bahnsteig zwei gegenüber auf Sie.“ Und als wir etwa eine halbe Stunde später in Púchov einrollen, verkündet der Schaffner noch einmal: „Expresszug 122 ‚Fatra‘ nach Prag über Olmütz steht abfahrtbereit auf Bahnsteig zwei, Gleis fünf gegenüber. Bitte rasch umsteigen!“

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Etwa eine Stunde vor der Ankunft in Bratislava verabschiede ich mich von meinen verbliebenen beiden Tischgenossen und kehre in mein Abteil zurück. Obwohl der Zug inzwischen aus allen Nähten platzt, ist mein Sitzplatz immer noch frei. Die restliche Fahrt in die Abenddämmerung vergeht wie im Flug. Pünktlich erreichen wir Bratislava-Vinohrady. In diesem ziemlich spartanisch ausgestatteten Vorortbahnhof verlassen viele Reisende unseren Zug und eilen zu den nahe gelegenen Bus- und Straßenbahnhaltestellen. Trotzdem dauert es dann im Hauptbahnhof von Bratislava noch immer mehrere Minuten, bis ich zur Treppe vordringe: Der Zug hat so viele Menschen ausgespuckt, dass es sich auf dem Bahnsteig gewaltig staut. Hinzu kommt, dass Teile das Bahnhofs gerade gesperrt sind, weil Aufzüge eingebaut werden. Was für eine Leistung im Jahr 2018 im Hauptbahnhof einer Hauptstadt.

Insgesamt gleicht der zu Zeiten des Kommunismus errichtete Bahnhof einer Ruine: Ein jahrelanger Rechtsstreit mit einem dubiosen Investor, der in den wilden 1990ern Teile des Komplexes übernommen, dann aber seine großen Pläne nie verwirklicht hat, haben jede Renovierung des Gebäudes verhindert. Das gilt auch für die Bahnhofswirtschaft, in der ich mich niederlasse, um die gut 40 Minuten Wartezeit auf den Regionalexpress nach Wien zu überbrücken: Das Mobiliar ist desolat, die Vorhänge steif vor Nikotin – hier kümmert sich niemand um das Rauchverbot – und der Großteil der Gäste kann sich nur mehr mühsam auf den Sesseln halten, weil das Bier hier in Strömen fließt. Auch der Kellner macht schon einen ziemlich mitgenommenen Eindruck. Aber bei einem Preis von 1,50 Euro für das große Bier vom Fass darf man sich auch in der Slowakei keinen Luxus erwarten, schon gar nicht in der teuren Hauptstadt.

Im REX zurück nach Wien

Die restliche Stunde der langen Reise verbringe ich im mehr als gut besetzten Regionalexpress nach Wien. Ich bin einmal mehr froh, dass seit einiger Zeit in der österreichschen „Cityshuttle“-Wendezuggarnitur ein modernisierter slowakischer Waggon mitläuft. So kann ich an einer der Steckdosen mein Handy aufladen. In den österreichischen Wagen würde man die vergeblich suchen. Und im Sommer ist gerade im heißen Marchfeld die Klimaanlage ein Segen.

Am nächsten Tag zurück in Linz denke ich mit Freude an den schönen und hochinteressanten Kurztrip in die Hohe Tatra zurück. Und bitte per E-Mail das Kundenzentrum der Slowakischen Eisenbahnen höflich um die Erstattung des Aufschlages für die misslungene Hinfahrt in der Ersten Klasse. Die Antwort erfolgt nach unglaublichen drei Minuten: „Entschuldigen Sie bitte, dass Sie bei Ihrer Reise mit uns Unannehmlichkeiten hatten. Die zuständige Abteilung wird ihnen das Geld umgehend rücküberweisen.“ Ich bin sprachlos. Und denke an meine letzte derartige Mails an die Austrian Airlines nach einem reichlich unerfreulichen Transatlantikflug: Auf die Beantwortung warte ich seit fast drei Monaten, nur zwei Vertröstungsschreiben mit Verweis auf das „außerordentlich hohe Aufkommen von Kundenanfragen“ habe ich bisher bekommen. Und dann hört man in Tschechien und der Slowakei so oft: „Im Westen ist alles besser.“  Von wegen!

 

Mit dem REX in die Hohe Tatra


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Der REX 2520 nach Kosiče vor der Abfahrt im Wiener Hauptbahnhof. (Foto: Daniel Kortschak)

Von Daniel Kortschak

Ein ziemlich kurioser Zug fährt noch einige Tage lang von Wien nach Kosiče im Osten der Slowakei. Mit Fahrplanwechsel wird er auf eine neue Route umgelegt. Da war es Zeit für eine kleine Erkundungstour in eine bisher unbekannte Gegend.

„Regionalexpress nach Košice über Bratislava hlavná stanica ist auf Bahnsteig fünf bereitgestellt“. Diese Ansage ist jeden Tag einmal am Wiener Hauptbahnhof zu hören. Der zugehörige Zug ist eine der kuriosesten internationalen Fernverbindungen, die derzeit in Mitteleuropa unterwegs sind: Der REX 2520/IC 513 von Wien über Bratislava in die ostslowakische Industriestadt Košice. Die slowakische Intercity-Garnitur fährt von Wien über die Marchegger Ostbahn nach Bratislava. Also über jene Hauptstrecke, die auch fast 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und fast 15 Jahre nach der EU-Osterweiterung noch immer auf ihren Ausbau und ihre Modernisierung wartet. So kommen die Fahrgäste in den zweifelhaften Genuss, für die erste Stunde der langen Reise mit einer Diesellok durch das Marchfeld zu knattern. Ein alles andere als alltägliches Erlebnis in einem internationalen Schnellzug. Einigermaßen außergewöhnlich für einen Regionalexpress ist auch die Zugbildung mit einem Erste-Klasse-Waggon, einem Halbgepäckwagen und einem Speisewagen. Mit dem Fahrplanwechsel Anfang Dezember ist dieses Kuriosum aber Geschichte: Der Zug wird dann durchgehend als Intercity über die elektrifizierte Strecke via Bratislava-Petržalka verkehren. Höchste Zeit also, eine Abschiedsfahrt mit diesem kuriosen Zug zu unternehmen.

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Bald ist diese Anzeige Geschichte: Der REX von Wien nach Košice wird Anfang Dezember zum Intercity. (Foto: Daniel Kortschak)

Samstag Nachittag, 14 Uhr am Wiener Hauptbahnhof: Die stattliche Garnitur aus fünf slowakischen Fernverkehrswagen steht am Bahnsteig bereit. Vorne dran eine ÖBB-Diesellok der Reihe 2016, die von einer deutlich riechbaren Wolke aus Abgasen und dezentem Ölgeruch umgeben ist. Deutlich angenehmer ist da der Geruch von frischem Essen, der aus dem Speisewagen dringt. Ich nehme in der ersten Klasse Platz. Es ist ein komfortabler slowakischer Großraumwagen der Reihe Ampeer mit bequemen, breiten Sitzen und Tischen in jeder Sitzgruppe. Leider sind die Reservierungen nicht ausgesteckt und mein gebuchter Fensterplatz ist belegt. Na gut, es ist genug Platz im Wagen und die Reservierungspflicht gilt erst ab Bratislava, wo der Zug zum Intercity wird. Ich beschließe also, das junge Paar nicht von seinen Sitzen zu vertreiben und mich dann später umzusetzen.

„Bahnsteig fünf, Regionalexpress nach Košice über Bratislava hlavná stanica fährt ab“, verkündet Chris Lohner auf dem Bahnsteig und pünktlich um 14.15 Uhr geht‘s los. Gleich anschließend begrüßt die slowakische Eisenbahngesellschaft ZSSK per automatischer Ansage die Fahrgäste und wünscht eine gute Reise. Auch die Haltestellen werden mehrfach angekündigt, allerdings nur auf Deutsch. Erst nach dem Grenzbahnhof Marchegg wechselt die Ansage auf den zweisprachigen deutsch-slowakischen Modus. Als erstes kommt eine Willkommensdurchsage: „Wir begrüßen Sie in der Slowakei. Železničná spoločnosť Slovensko wünscht ihnen eine angehme Reise.“ Auf den digitalen Laufschriften im Wagen wird die nächste Haltestelle ebenfalls angezeigt, inklusive der Ankunftszeit und der verbleibenden Entfernung zum nächsten Halt. Dazu noch der Reiseverlauf, die Zugnummer und das Fahrziel. Und als besonderen Service erfahren die Fahrgäste auch die Außentemperatur und die aktuelle Geschwindigkeit. Da wird einmal mehr deutlich, in welch beklagenswertem Zustand diese internationale Hauptstrecke ist: Selbst auf den schnurgeraden Abschnitten im flachen Marchfeld knackt der Zug kaum die 100-km/h-Marke. Die Diesellok dürfte so ihre liebe Not haben mit der schweren Schnellzug-Garnitur, die an diesem Tag noch zusätzlich um einen abgesperrt am Zugschluss mitlaufenden Halbgepäckwagen verlängert ist.

Und die Lok hat nicht nur Probleme, den Zug auf die Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen. Sie kann offenbar auch nicht genug Strom für die klimatisierten Waggons und den Speisewagen bereitstellen: Im am Zugschluss laufenden Erste-Klasse-Wagen ist es jedenfalls düster, nur kleine Notleuchten brennen. Auch die Steckdosen geben keinen Saft ab. Sehr zum Ärger der jungen Frau neben mir, die verzweifelt versucht, ihr Handy aufzuladen. Und die Klimaanlage bleibt ebenfalls stumm, es wird langsam aber sicher immer kälter. Wie gut, dass sich der Wagen auf der vorherigen Fahrt aus Ungarn kommend gut aufgeheizt hat. Das nährt auch die Hoffnung, dass die Stromversorgung nach dem Ankuppeln der elektrischen Lokomotive in Bratislava wieder zum Leben erwachen wird. Bis dorthin bleibt es dunkel: Der ÖBB-Schaffner, der es kurz vor dem Grenzbahnhof Marchegg dann auch einmal in die erste Klasse geschafft hat, wirft zwar einen kurzen Blick in den Schaltkasten und drückt ein paar Tasten. Als der Erfolg ausbleibt, wirft er die Tür des Elektroschranks mit gleichgültigem Gesichtsausdruck zu und macht sich an die Fahrkartenkontrolle.

Mit mehr Engagement widmet sich erst das slowakische Zugpersonal dem Problem: In Bratislava macht sich zunächst der Schaffner, dann die Zugchefin und schließlich ein Wagenmeister im Schaltschrank zu schaffen. Nach einigem Herumdrücken und dem Aus- und Einlegen von verschiedenen Sicherungsautomaten geht immerhin die Wagenbeleuchtung an und auch die Steckdosen haben kurzfristig Strom. Aber ganz lösen lässt sich das Problem nicht. Da hilft auch nicht, dass der Wagenmeister mehrfach mit dem Lokführer funkt, verschiedene Schaltvorgänge vornehmen lässt und sich von ihm Tipps zur Störungsbeseitigung geben lässt. Als sich schließlich der über 20-minütige planmäßige Aufenthalt in Bratislava hlavná stanica seinem Ende zuneigt und die Abfahrtszeit näher rückt, greift die Zugchefin zum Diensthandy. Sie fragt im Waggondepot nach, ob ein Elektriker verfügbar ist. Doch auch der kann am Telefon nicht weiterhelfen, und ihn herkommen zu lassen würde zu lange dauern. Anschließend berät die Zugchefin mit dem Zugdispatcher am Telefon das weitere Vorgehen. Er schlägt vor, den Wagen zu räumen und die rund 15 Fahrgäste in die zweite Klasse umzuquartieren. „Eine Schande, ausgerechnet die 1. Klasse“, seufzt die Zugchefin und legt mit einem resignierten „Na gut.m dann machen wir das so. Wiederhören!“ auf. Der Wagenmeister steuert einen nicht druckreifen Kraftausdruck bei und steigt fluchend aus. Dann setzt sich der inzwischen zum Intercity mutierte Zug in Richtung Košice in Bewegung. Eine Minute nach der planmäßigen Abfahrtszeit.

Umzug in die zweite Klasse

Kurz nach der Abfahrt kommt die Zugchefin mit einem kleinen Wägelchen. Sie verteilt Zeitungen und Mineralwasser. Beides ist im slowakischen Intercity im Fahrpreis enthalten. Und sie informiert die Fahrgäste über das technische Problem: Es werde mit der Zeit immer kälter werden und sie wisse auch nicht, wie lange die Batterien und damit die Beleuchtung noch durchhalten. „Die Elektrik ist tot. Der Wagen kommt aus Ungarn. Ich weiß nicht, was die dort mit unserem Waggon aufgeführt haben. Gehen Sie bitte in die zweite Klasse, Platz ist zum Glück genug. Dort haben Sie es auf jeden Fall gemütlicher als in diesem Waggon.“ Sie habe mit dem Zugdispatcher vereinbart, dass wir den Aufpreis für die erste Klasse zurückbekommen: „Wenden Sie sich einfach nach Ihrer Ankunft an eine Personenkassa oder an unser Kundenservice-Center. Die wissen Bescheid. Es tut mir sehr leid, dass wir Ihnen heute nicht den gewohnten Service bieten können.“ Wow! Was für ein Einsatz für die Fahrgäste und was für ein kundenfreundlicher Zugang. Da kann sich so manches Bahnunternehmen im „Westen“ eine dicke Scheibe abschneiden.

Also mache ich mich gemeinsam mit den übrigen Fahrgästen auf in die zweite Klasse. Ich durchquere den Speisewagen, in dem fleißig gekocht wird und die Gerüche aus der Küche gleich meinen Appetit anregen. Man könnte ja auch gleich … Nein, lieber zuerst einen neuen Platz finden, die Fahrt ist ja noch lang. Schon im zweiten Wagen werde ich fündig: In dem modernen Großraumwaggon ist ein Fensterplatz frei. Zwar gegen die Fahrtrichtung, aber gut. Leider kann ich dort nicht lange bleiben: Nach dem Halt in Trnava kommt eine junge Frau und beansprucht mit einigem Nachdruck und ziemlich vorwurfsvollem Blick den Sitz. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich ja eh eine Platzkarte habe, allerdings für einen Wagen, der nicht funktioniert. Und dass ich natürlich gerne und sofort Platz mache. Der Blick der jungen Frau bleibt stechend. Nun gut. Ich gebe den Fensterplatz frei und setze mich auf den Gangsitz nebenan. Während ich trotzdem versuche, einige Blicke auf die im Abendrot vorbeiziehende Landschaft zu erhaschen, senkt meine Sitznachbarin den Blick auf ihr Smartphone. Und wird ihn für die nächsten Stunden auch nicht mehr heben.

Auf in den Speisewagen

Das Problem mit der Aussicht hat sich aber ohnehin bald erledigt: Die Dunkelheit bricht herein und von der mir bisher unbekannten Landschaft nordöstlich von Bratislava ist außer vereinzelt auftauchenden Lichtern und vorbeihuschenden Bahnwärterhäuschen nichts mehr zu sehen. Höchste Zeit, um den Speisewagen aufzusuchen. Ich nehme an einem der mit weißem Tischtuch, gelber Deckserviette, Gläsern und Tellern schön gedeckten Tische Platz. Als ich das kleine Tischlämpchen einschalte, ist das Gefühl, in einem Luxus-Express aus längst vergangenen Zeiten zu sitzen, perfekt. Und auch das Essen, das mir nach kurzer Wartezeit serviert wird, steht dem um nichts nach: Das Schweinefilet ist zart und frisch angebraten, die Bratkartoffeln dazu schmecken ebenfalls. Es geht eben nichts über frisch zubereitete Speisen, die in den allermeisten Speisewagen längst durch Fertiggerichte ersetzt worden sind. Auch die Kugeln aus Kartoffelteig mit Powidl-Fülle, garniert mit einem „knusprigen Durcheinander“, wie es wörtlich in der Speisekarte geschrieben steht, schmecken vorzüglich. Und sind so ausgiebig, dass sie locker auch als Hauptgang durchgehen würden.

Wie gut, dass der Koch sich durch eine weitere technische Panne nicht aus der Ruhe bringen ließ: Als das Fleisch in der Pfanne brutzelte, ist plötzlich das Gas ausgegangen. „Verdammt! Die Flasche ist leer“, war aus der Speisewagenküche zu holen. Doch der eiligst ausgeschickte Nachwuchs-Kellner hat das Problem schnell behoben und auf eine neue Gasflasche umgesteckt. Gut zu wissen, dass in den slowakischen Bordrestaurants noch mit Gas gekocht wird. Somit sind sie von diversen Problemen mit der Stromversorgung nicht zu betroffen, wie sie in Speisewagen etwa in Deutschland oder Österreich immer wieder einmal auftreten. Ob die Gasflaschen an Bord auch ein Gewinn für die Sicherheit sind, darf allerdings stark bezweifelt werden.

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Schön gedeckt sind die Tische im Speisewagen von Wagon Slovakia Košice. (Foto: Daniel Kortschak)

Einziges kleines Manko: Das Bier, ein einheimische Zlatý Bažant in der 1973er-Retro-Edition in einer altmodischen grünen Euro-Bierflasche mit entsprechendem Etikett, ist bestenfalls mäßig gut gekühlt. Das mag wohl am reißenden Absatz liegen, Personal und Kühlschrank kommen ganz offenbar mit dem Einkühlen kaum nach: Der Speisewagen ist gut besetzt, auch im Barbereich nebenan sitzen zahlreiche Gäste. Zudem fährt noch die Minibar durch den Zug. Die Slowaken scheinen ihre Zuggastronomie also sehr zu schätzen. Das mag auch an den selbst für slowakische Verhältnisse recht moderaten Preisen, zumindest für die einfacheren Speisen, liegen. Wie ich am Nebentisch beobachten kann, ist auch die Bezahlung mit allen gängigen Bankomat- und Kreditkarten eine Selbstverständlichkeit und klappt selbst im gebirgigen Streckenabschnitt irgendwo zwischen Žilina und Poprad-Tatry problemlos. Ganz im Gegensatz etwa zur Deutschen Bahn, die bis heute keine Debit- und Prepaid-Karten annimmt. Und auch in Österreich ist die Kartenzahlung im Speisewagen reine Glückssache, wie ich erst vor wenigen Tagen wieder in einem Intercity auf der Tauernstrecke feststellen konnte.

 

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Nach dem schmackhaften und mehr als sättigenden Abendessen im Speisewagen raste ich noch ein bisschen auf meinem Sitzplatz. Bald darauf erreichen wir auch schon pünktlich Poprad-Tatry – das Ziel meiner Reise. Der monumentale, zweistöckige Bahnhof atmet den Charme der Siebzigerjahre. Er präsentiert sich aber frisch renoviert, hell erleuchtet und sehr sauber. Kurz überlege ich, ob ich jetzt zur Personenkassa gehen und mir das Geld für die misslungene Fahrt in der ersten Klasse zurückholen soll. Ich beschließe aber, lieber gleich ins Hotel zu gehen. Nach der langen Reise möchte ich jetzt erst einmal mein Gepäck abstellen und mich frischmachen. Die Farhpreiserstattung kann ich auch später mit dem Kundenservice klären. Mit einem Online-Ticket, das ich mit Kreditkarte bezahlt habe, ist das vermutlich ohnehin der einfachere weg.

Auch das Tatra-Hotel ist ein mächtiger Betonklotz aus den Siebzigerjahren, die Ausstattung der Lobby atmet noch den Geist der vergangenen Jahrzehnte. Aber auch hier ist alles sehr sauber und gepflegt. An der Rezeption werde ich schon erwartet. Ich bin ganz offensichtlich schon kurz vor 20 Uhr der letzte Gast, der noch anreist.

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Wenig los ist am Samstagabend in der Fußgängerzone in Poprad. (Bild: Daniel Kortschak)

Nachdem ich mein Zimmer bezogen habe und einer kurzen Ruhepause mache ich mich noch auf zu einem kleinen Spaziergang durch das nahe gelegene Stadtzentrum. Der gebogene Stadtplatz besteht aus zwei parallel verlaufenden, zur Fußgängerzone umgestalteten Einkaufsstraßen. In der Mitte finden sich neben einer Kirche auch ein paar Häuser und eine Grünanlage. Historische, ein- bis zweistöckige Häuser wechseln sich mit Bausünden aus unterschiedlichen Epochen ab. Der Bewahrung der historischen Bausubstanz hat man in Poprad ganz offensichtlich lange Zeit keine große Bedeutung zugemessen. Eingerahmt wird dieses seltsame Altstadt-Ensemble von  monumentalen Plattenbauten, die neben verschiedenen Ämtern auch Hotels beherbergen. Die meisten von ihnen haben schon bessere Zeiten erlebt: In einem Hotel hat sich im Erdgeschoss ein großer Spielsalon ausgebreitet. Aus dem vorletzten Stockwerk leuchten in grellem Rot die Buchstaben EROS, ergänzt um ein Herz. Wer sich hier einquartiert hat offenbar ganz spezielle Ansprüche.

Immerhin, einige ganz gemütliche Lokale lassen sich in der am Samstagabend nicht besonders bevölkerten Altstadt von Poprad ausmachen. Weil ich aber meinen Hunger und Durst schon mehr als ausreichend im Speisewagen gestillt habe, trete ich den Rückweg an. Schließlich will ich am Sonntag auch früh aufstehen, um die Hohe Tatra zu erkunden. Mehr dazu dann demnächst im zweiten Teil dieses Reiseberichts.

Graz – Maribor: So vertreibt die Bahn die letzten Fahrgäste

Spielfeld

Das Zuglaufschild sagt schon alles: Die Bahnverbindung Graz – Maribor ist auf dem Niveau der Siebzigerjahre stecken geblieben. Bestenfalls. – Foto: Daniel Kortschak

Von Daniel Kortschak

Die Fahrt mit der Bahn von Graz ins kaum 70 Kilometer entfernte Maribor ist nur etwas für absolute Bahnliebhaber. Und selbst die verzweifeln am schlechten Fahrplan und der miserablen Betriebsführung.

Von Graz in die slowenische Partner- und Nachbarstadt Maribor (Marburg an der Drau) sind es gerade einmal 67 Kilometer. Über die Autobahn dauert die Fahrt um die 50 Minuten. Trotzdem habe ich mich am ersten Septemberwochenende dazu entschieden, den Tagesausflug mit dem Zug zu absolvieren. Es war eines der stärksten Rückreisewochenenden dieses Sommers angesagt und wegen der trotz Schengen seit Jahren wieder durchgeführten Grenzkontrollen waren lange Wartezeiten in Spielfeld zu befürchten. Hinzu kommt die slowenische Autobahnvignette, die für eine Woche stolze 15 Euro kostet. Genau so viel wie die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn. Und nicht zuletzt kann man als Bahnreisender mit ruhigem Gewissen das eine oder andere Krügel Bier oder ein, zwei Gläser des hervorragenden lokalen Weins trinken.

Die Hinfahrt mit dem Eurocity 151 „Emona“ Wien – Ljubljana mit Sommer-Kurswagen nach Rijeka verläuft problemlos. Dass die Abfahrtsverspätung von wenigen Minuten in Graz am Hauptbahnhof weder angezeigt noch angesagt wurde, fällt unter die Kategorie Schönheitsfehler. Und für einigermaßen zuverlässige Verspätungsauskünfte gibt‘s ja zum Glück die ÖBB-Smartphone-App „Scotty“. Im gepflegten Speisewagen der Slowenischen Eisenbahnen (SŽ) verläuft die Fahrt bei einem ausgezeichnetem Kaffee aus der großen Espressomaschine besonders angenehm. Und mit einer Fahrzeit von 58 Minuten ist der Schnellzug im Vergleich zum Auto so einigermaßen konkurrenzfähig. Würde endlich der aufwändige und 12 Minuten in Anspruch nehmende Lokwechsel im Grenzbahnhof Spielfeld-Straß wegfallen, stünde der Zug im Vergleich zum Auto sogar sehr gut da. Die entsprechenden Mehrsystem-Loks, die neben dem österreichischen Wechselstrom auch den bei der slowenischen Bahn üblichen Gleichstrom verkraften, sind sowohl bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) als auch bei den Slowenischen Eisenbahnen (SŽ) längst vorhanden. Sie fahren auch regelmäßig mit internationalen Schnellzügen von Ljubljana bis Villach und darüber hinaus. Zwischen Graz und Maribor scheitert der Einsatz dieser Maschinen der ÖBB-Reihe 1216 und ihrer slowenischen Schwestern der Reihe 541 aber am schlechten Zustand der Strecke und insbesondere der nördlichen Bahnhofseinfahrt von Maribor. Wir kommen trotzdem einigermaßen pünktlich in Maribor an und verbringen in der zweitgrößte Stadt Sloweniens einen entspannten Tag mit Einkäufen, einem Ausstellungsbesuch und Speis und Trank.

Bahn fahren zum Abgewöhnen

Schnell dahin ist diese positive Stimmung allerdings dann bei der Rückfahrt am Abend: Um möglichst viel Zeit in Maribor verbringen zu können, haben wir uns für die letzte Verbindung mit der Abfahrt um 19.40 Uhr entschieden. Die besteht aus einem slowenischen Regionalzug bis Spielfeld-Straß, wo man in die steirische S-Bahn-Linie S5 nach Graz umsteigen muss. Weil beide Züge an jeder Station halten, ist man eine Stunde und 19 Minuten unterwegs, acht Minuten Umsteigezeit im Grenzbahnhof inklusive. Eine halbe Stunde langsamer als mit dem Auto. Das ist viel, aber gerade noch erträglich. Als wir gegen 19.30 Uhr den Bahnhof Maribor erreichen, hätten wir beinahe noch den Eurocity 150 „Emona“ nach Wien erreicht. Er sollte zwar schon um 18.20 in Maribor abfahren, hat aber über eine Stunde Verspätung, weil auf die Reisenden aus Rijeka gewartet werden musste: Die Slowenischen Eisenbahnen sind einmal mehr auf die glorreiche Idee gekommen, ausgerechnet an einem starken Reisewochenende zwischen Rijeka und Ljubljana  einen Schienenersatzverkehr wegen Bauarbeiten einzurichten. Im dichten Urlauberverkehr kann der Bus selbst die mehr als großzügigen Fahrzeiten des Zuges nicht annähernd halten, was vor allem an den schleppenden bis schikanösen Kontrollen der slowenischen Polizei an der kroatisch-slowenischen Grenze liegt. So wird die Fahrt im Ersatzbus schnell zum Abenteuer mit ungewissem Ausgang, wie ich das im Mai dieses Jahres selbst erleben musste. Ein weiterer Grund für häufige Verspätungen sind derzeit Bauarbeiten auf der Strecke zwischen Ljubljana und Maribor.

So gesehen schien der Regionalzug die bessere Wahl gewesen zu sein: Der innen frisch modernisierte und außen erstaunlicher Weise nicht mit Graffiti verzierte Dieseltriebwagen der Reihe 715 setzt sich pünktlich in Bewegung. Warum die SŽ lieber mit einem Dieslefahrzeug auf der durchgehend elektrifizierten Strecke von Maribor nach Spielfeld fahren, während am Nachbargleis ein elektrischer Triebwagen der Baureihe 312 arbeitslos abgestellt steht, bleibt wohl das Geheimnis der Geschäftsleitung. Aber gut, Hauptsache, wir fahren. Und das sogar recht zügig, weil Teile der Strecke Maribor – Spielfeld inzwischen zumindest oberflächlich saniert worden sind. Im Bahnhof Pesnica ist dann die Fahrt allerdings für längere Zeit zu Ende. Auch wenn es die slowenische Zugchefin es für nicht der Mühe wert hält, die immerhin 10 Fahrgäste über den Grund der Verzögerung zu informieren, wird schnell klar, warum wir in diesem gottverlassenen Bahnhof so lange stehen: Wir warten auf den verspäteten EC 159 „Croatia“ Wien – Zagreb, der wiederum in Spielfeld-Straß auf die slowenische Lokomotive und das Lok- und Zugpersonal aus dem schwer verspäteten EC 150 warten musste.

Als es dann nach einigen Minuten weitergeht, bin ich noch zuversichtlich, dass wir den Anschluss nach Graz trotzdem erreichen. Vielleicht holen wir ja auch die eine oder andere Verspätungsminute wieder auf. Und tatsächlich, der slowenische Lokführer gibt ordentlich Gas, der Dieselmotor heult auf. Doch als wir dann kurz vor der Einfahrt nach Spielfeld-Straß noch einmal zum Stehen kommen, schwindet die Hoffnung auf eine pünktliche Ankunft in Graz. Und tatsächlich: Als wir einige Minuten später in Spielfeld-Straß einfahren, ist die S-Bahn Richtung Graz gerade abgefahren. Informiert werden die Fahrgäste darüber zwar nicht, der bis auf den gerade angekommenen slowenischen Triebwagen leere Bahnsteig lässt aber keinen Zweifel offen: Die ÖBB haben den Anschluss tatsächlich nicht abgewartet. Und ein Blick auf den Abfahrtsmonitor bestätigt das, was wir schon befürchtet haben: Der nächste Zug nach Graz fährt tatsächlich erst in einer Stunde.

Fahrgastrechte – was ist das?

Gemäß den allgemeinen Geschäftsbedingungen der ÖBB und der EU-Fahrgastrechte-Verordnung hätten die gestrandeten Fahrgäste jetzt eigentlich Anspruch auf Getränke und Snacks. Doch die Dame im ÖBB-Callcenter, die nach etwa 10 Minuten Warteschleifenmusik mit den forschen Worten „Kundenservice, bittesehr!“ abhebt, will davon nichts wissen. „Was soll ich jetzt machen? Schreiben Sie eine E-Mail.“ Ihr Kollege, den ein anderer wütender Reisender kurz darauf kontaktiert, ist wenigstens ein wenig freundlicher. Er weist aber jede Verantwortung für den nicht abgewarteten Anschluss von sich. Das sei einzig und alleine die Schuld der Slowenischen Eisenbahnen. Die ÖBB wüssten gar nicht, wann der slowenische Zug im Grenzbahnhof ankomme. Und die slowenische Zugchefin hätte melden müssen, dass es umsteigende Fahrgäste Richtung Graz gibt. Das kann man glauben, muss man aber nicht: Schließlich war auch die Rückfahrt des slowenischen Regionalzugs Richtung Maribor schon bei unserer Ankunft in Spielfeld auf dem Abfahrtsmonitor mit einigen Minuten Verspätung angekündigt. Irgendwo muss diese Info also doch bei den ÖBB angekommen sein. Und dass bei diesem Zug niemand umsteigt, dürfte am Samstagabend wohl auch eher unwahrscheinlich sein. Besonders ärgerlich: Die geschätzten vier bis fünf Minuten, die die S-Bahn Richtung Graz hätte warten müssen, hätte sie mit ziemlicher Sicherheit leicht wieder aufgeholt. Erst recht mit dem besonders spurtstarken Cityjet-Triebwagen. Und tatsächlich haben wir dann sowohl in Leibnitz als auch in Wildon länger auf die planmäßige Abfahrtszeit gewartet, der Fahrplan scheint also ziemlich viel „Luft“ zu haben.

Die fast einstündige Wartezeit im Bahnhof Spielfeld-Straß ist jedenfalls kein besonderes Vergnügen. Immerhin gibt es einen geöffneten und einigermaßen sauberen Warteraum sowie einen Kaffee-, einen Getränke- und einen Süßwarenautomaten. Ich bin schon sehr neugierig, ob mir die ÖBB die 2,20 Euro für die gekaufte Limonade tatsächlich zurückerstatten. Gemäß ihren AGB und der EU-Fahrgastrechte-Verordnung müssten sie. Anspruch auf Erstattung von 25 Prozent des Fahrpreises hätte ich theoretisch auch. Allerdings ist der Erstattungsbetrag bei einem Fahrpreis von nur 7,50 Euro unter der magischen Grenze von vier Euro – darunter wird nichts ausbezahlt.

Andere Länder machen’s besser

Fazit dieser kurzen und trotzdem mehr als verunglückten Bahnreise: Während in anderen Teilen Europas längst moderne Triebwagen im Taktverkehr in benachbarte Regionen fahren und sich dabei auch von verschiedenen Strom- und Zugsicherungssystemen nicht bremsen lassen, ist die Zugverbindung zwischen den gerade einmal 67 Kilometer voneinander entfernten Großstädten Graz und Maribor fast 15 Jahre nach dem EU- und gut zehn Jahre nach dem Schengen-Beitritt Sloweniens immer noch auf einem mehr als bescheidenen Niveau: Die großen Taktlücken im Fahrplan gepaart mit diversen, schwer zu überblickenden Verkehrseinschränkungen an Ferien- und Feiertagen dies- und jenseits der Grenze sowie der zeitraubende Lokwechsel oder Umsteigezwang an der Grenze machen nicht wirklich Lust, mit der Bahn von Graz nach Maribor zu fahren. Wenn die Fahrzeit von Tür zu Tür wie in meinem Fall durch Verspätungen und miserable Öffi-Anschlüsse am Grazer Hauptbahnhof dann im Vergleich zum Auto beinahe auf das Dreifache ansteigt, kommt wohl selbst der eingefleischteste Bahnfan ins Nachdenken, ob er den nächsten derartigen Ausflug nicht doch mit dem Auto unternimmt.

Was für eine gutes Argument für all jene Sparmeister, die schwach besetzte Zugverbindungen lieber heute als morgen streichen würden. Dabei können dichte Fahrpläne gepaart mit modernen Fahrzeugen und einfachen, günstigen Tarifen selbst in viel abgelegeneren Grenzregionen für einen erstaunlich hohen Fahrgastandrang sorgen. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa die nach Jahrzehnten des Dornröschenschlafs vor einigen Jahren wiedereröffnete Strecke vom tschechischen Harrachov (Harrachsdorf) ins polnische Szklarska Poręba (Schreiberhau): Dort wird jedes Jahr der Fahrplan weiter verdichtet, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Auch im kommenden Jahr werden zusätzliche Züge auf der sogenannten Zackenbahn fahren. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Winterurlaub im Riesen- und Isergebirge.

Mit Auto, Bahn und Bus unterwegs rund um Telč

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Moderner Regionalzug im Bahnhof Slavonice. (Foto: Daniel Kortschak)

Ein Wochenendausflug führt mich nach Telč. Das ist von Linz aus leider nur mit dem Auto zu erreichen. Und auch das nur mit einigen Mühen. Vor Ort erweisen sich dann Bahn und Bus als die bessere Alternative.

Von Daniel Kortschak

Ein Geburtstagsausflug hat mich kürzlich mit Verwandten nach Tschechien geführt, genauer in die Region rund um die Unesco-Welterbestadt Telč. Dieses an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren bzw. den heutigen Regionen Südböhmen und Vysočina/Hochland gelegene Gebiet ist landschaftlich wunderschön: Weite Felder und Wiesen, sanfte Hügel, viele Teiche. Dazu neben Telč noch weitere sehenswerte Städte, allen voran Slavonice mit seinen wunderbaren Sgraffito-Fassaden.

Allerdings hat die Region einen entscheidenden Nachteil: Sie ist nur äußerst umständlich zu erreichen, erst recht von Österreich aus. Und mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es überhaupt so gut wie unmöglich, einen Wochenendtrip dorthin zu unternehmen. Von Linz aus dauert die Fahrt mit Bus und Bahn fünf Stunden und mehr. Man muss vier, fünf oder sechsmal umsteigen und teilweise längere Aufenthalte einplanen. Verschärft hat sich diese unerfreuliche Situation durch die aktuelle Krise auf dem tschechischen Fernbusmarkt: Der einheimische Platzhirsch Regiojet (früher Student Agency) muss sich neuerdings gegen die aggressive Konkurrenz des europäischen Marktführers Flixbus behaupten. Weil die giftgrünen Flixbusse dem knallgelben Regiojet in puncto Komfort und Service nicht annähernd das Wasser reichen können, versucht der deutsche Fernbus-Gigant jetzt mit Dumpingpreisen Regiojet Marktanteile abzujagen. Die Folge: Auch Regiojet muss billiger werden, der Gewinn schmilzt. Und das führt wiederum dazu, dass Regiojet weniger profitable Linien einstellt oder den Fahrplan zusammenstreicht. Das ist auch auf der Querverbindung Brünn /Brno – Jihlava/Iglau – Budweis/Česke Budějovice passiert, die bis vor einigen Monaten in Kombination mit den Expresszügen Linz – Budweis – Prag noch eine einigermaßen brauchbare Verbindung vo Linz nach Telč geboten hatte.

Keine Alternative zum Auto – leider

So blieb uns für die Anreise nur das Auto. Doch auch auf den eigenen vier Rädern sind die knapp 170 Kilometer von Linz nach Telč eine ziemliche Tortur: Zwar geht es über die A7, die S10 und die meist sehr gut ausgebaute B38 recht zügig ins niederösterreichische Waldviertel. Dort sorgen dann aber mehrere Baustellen für massive Verzögerungen: Zuerst geht es kilometerlag mit Tempo 30 über eine Schotterpiste, die das Auto fast bis zur Unkenntlichkeit verschmutzen lässt. Anschließend folgt eine abenteuerliche Umleitung über eine steile, schmale Kopfsteinpflaster-Straße. Danach geht’s dann wieder einige Kilometer baustellenfrei dahin. Dafür bescheren uns die schlechte Beschilderung und die unklare Streckenführung einiges Kopfzerbrechen und eine kleine Ehrenrunde durch Schrems.

Ist diese Hürde genommen, kann man in der landschaftlich schönen, aber ziemlich verlassenen Gegend die Hauptstraße kaum mehr verfehlen. Doch was hilft’s, wenn die wegen Bauarbeiten plötzlich gesperrt ist. Dann bedeutet das eine große Extratour über schmale Straßen durch die weiten Äcker. Irgendwann haben wir dann doch noch die tschechische Grenze nahe Fratres erreicht. Die letzten 40 Kilometer warten. Die sollten auch auf den kurvigen und stellenweise schlecht ausgebauten tschechischen Landstraßen schnell absolviert sein. Doch weit gefehlt: Wegen mehrerer Baustellen ist auch die direkte Straße von Slavonice über Telč nach Jihlava gesperrt. Aus den 40 Kilometern auf der Hauptstraße werde so gut 60 auf Nebenstraßen. Die Finanzspritze, mit der die Regierung in Prag den Landkreisen bei der Sanierung der von ihnen verwalteten Hauptstraßen der II. und III. Kategorie unter die Arme gegriffen hat, hat kürzlich  in Verbindung mit EU-Mitteln einen wahren Bauboom ausgelöst, wie sich auf dieser Reise noch zeigen sollte.

Immerhin ist die Umleitungsstrecke sehr gut beschildert. Dank der eindeutigen schwarz-orangen Pfeile, die in regelmäßigen Abständen an der Straße auftauchen, kommen so selbst auf der schmalsten Piste keinen Zweifel darüber auf, ob man sich überhaupt noch auf dem richtigen Weg befindet. Etwa eine Stunde später als geplant erreichen wir unser Hotel in Třešť, einem hübschen Städtchen rund 15 Kilometer nördlich von Telč: In der Welterebe-Stadt selbst waren alle brauchbaren Hotels entweder ausgebucht oder unverschmämt teuer. Das Hotel in Třešť ist ganz neu, sehr komfortabel und unschlagbar günstig. Die Rezeptionistin ist sichtlich erfreut, dass wir endlich angekommen sind: Sie hat extra auf uns gewartet – wir mussten sie von unterwegs telefonisch um Geduld bitten. Sie zeigt aber Verständnis: „Jaja, diese Baustellen. Schrecklich! Hauptsache, sie sind gut angekommen.“ Zum Glück gibt’s im Hotel-Restaurant noch etwas zu essen. Und eine große Auswahl an böhmischem Bier.

Wir steigen auf Bahn und Bus um

Nicht zuletzt wegen der mühsamen Anreise und der zahlreichen Baustellen entscheiden wir beim Abendessen, dass wir für unser Besichtigungsprogramm am nächsten Tag die Bahn nehmen. Das hat außerdem den Vorteil, dass niemand auf das gute Bier verzichten muss: Weil in Tschechien konsequenter Weise eine 0,0-Promille-Grenze im Straßenverkehr gilt, wäre für den Fahrer unter Umständen schon ein Schluck zu viel. Über die Fahrplan-App Idos, die vom Verkehrsministerium zuverlässig mit den Fahrplandaten aller öffentlichen Verkehrsmittel in Tschechien gefüttert wird, finde ich schnell die passenden Verbindungen Richtung Telč und Slavonice. Die meisten Strecken lassen sich mit dem Zug gut bewältigen. Allerdings muss man die Route geschickt planen, um nicht viel Zeit in Dačiče zu verlieren: Diese 7.500-Einwaohner-Stadt liegt wie Slavonice im Landkreis Südböhmen, der Rest der Lokalbahn Kostelec u Jihlay – Telč – Slavonice hingegen in der Region Vysočina. Und für den Regionalverkehr auf Schiene und Straße sind in Tschechien die 14 Landkreise zuständig. Frei nach dem Motto „Wer zahlt, schafft an“ führt das dann zur absurden Situation, dass der Zug an der Kreisgrenze fast eine halbe Stunde lang in einem Bahnhof steht. Sonst müssten sich die beiden Nachbar-Regionen ja am Ende über den Fahrplan einigen.

Und gerade Südböhmen gilt in Sachen Eisenbahnverkehr ohnehin als Problem-Region: Der Fahrplan ist dünn, mehr als ein Zweistundetakt ist auf kaum einer Strecke drin. Einige Linien sind Ende des Vorjahres außerdem an einen privaten Betreiber vergeben worden, was zu einem ziemlichen Tarif-Chaos geführt hat, weil man sich mit den staatlichen Tschechischen Bahnen (ČD) nicht über die gegenseitige Anerkennung der  Fahrkarten einigen konnte. Das ist bei der von uns benützten Strecke zum Glück nicht der Fall. So kann ich über die sehr gelungene, äußerst einfach zu bedienende und mittlerweile auch auf Deutsch verfügbare ČD-App „Můj vlak“ – „Mein Zug“ schnell den günstigsten Fahrpreis ermitteln: Ich gebe die gewünschte Strecke und die Zahl der Personen ein und schon schlägt mir mein Smartphone das passende Ticket vor: Es ist ein Wochenendfahrschein, mit dem mehrere Personen alle Strecken in einer Region einen ganzen Tag lang benützen können. Dass unser Ziel Slavonice schon in einer Nachbarregion liegt, macht nichts: Bis dorthin gilt die Wochenend-Netzkarte der anderen Region. Man kann sich also anscheinend doch über Landkreisgrenzen hinweg einigen. Zumindest bei den Fahrpreisen. Als ich per Kreditkarte zahlen will, bietet mir die App den Fahrschein kostenlos an. Der Grund: Ich habe durch frühere Fahrscheinkäufe genügend Bonuspunkte gesammelt. Was für eine freudige Überraschung!

Nach einem Rundgang durch Třešť stehen wird am späten Vormittag dann an der Haltestelle „Třešť město“ – „Třešť Stadt“, die näher zum Zentrum liegt als der Banhof. Dank der selbst in kleineren tschechischen Städten üblichen Wegweiser, die Fußgängern den richtigen Weg zu den wichtigsten Einrichtungen zeigen, konnten wir sie trotz ihrer etwas versteckten Lage kaum verfehlen. Die sehr genaue und übersichtliche tschechische Navigations-App „Mapy.cz“, die durch die Möglichkeit, Länderkarten herunterzuladen sogar ohne permanente Datenverbindung zuverlässig funktioniert, war uns dabei eine weitere Hilfe. „Třešť Mesto“ ist eine typisch tschechische Bahnhaltestelle: Ein größerer gemauerter Fahrgastunterstand, der früher einmal wohl auch eine Personenkassa beherbergt hat, ein paar Lampen und ein paar Sitzbänke, dazu ein einfacher Kies-Bahnsteig. Alles leider ein wenig ramponiert durch die örtlichen Vandalen.

Als der Zug nicht zur geplanten Abfahrtszeit eintrifft, erweist sich wieder die ČD-App als sehr nützlich: Per Push-Nachricht informiert sie mich über die Verspätung von rund 10 Minuten. Als Grund ist das Warten auf einen verspäteten Anschlusszug angegeben. In der App kann ich jetzt verfolgen, wo der Zug gerade unterwegs ist und ob die Verspätung kleiner oder größer wird. Sie wird kleiner. Der Lokführer dürfte also ordentlich Gas geben. Und tatsächlich bimmelt schon bald derBahnübergang, und kaum haben sich die Schranken gesenkt, brummt schon derZug heran. Es ist ein moderner Dieseltriebwagen der Reihe 841, den die ČD vor einigen Jahren mit Unterstützung der EU für die Regionen Vysočina und Liberec beim Schweizer Hersteller Stadler beschafft haben. Die Züge überzeugen durch Niederflureinstieg, behindertengerechte Toilette, Klimaanlage und Laptop-Steckdosen. Ein Komfort, den selbst in Deutschland oder Österreich nur wenige Nebenbahnfahrzeuge zu bieten haben.

Bahn fahren ganz ohne Fahrkarte

Kurz nach der Abfahrt kommt schon der Schaffner vorbei. Ich reiche ihm meine InKarta, die Kundenkarte der ČD. Sie ersetzt den Fahrschein: Der Schaffner hält sie einfach an sein Lesegerät und dank der Verknüpfung mit meinem elektronischen Kundenkonto der ČD kann er innerhalb von Sekunden feststellen, dass ich vor wenigen Minuten per Handy-App eine Fahrkarte für diese Strecke gekauft habe. Alternativ könnte ich ihm auch mein Smartphone mit dem besonders fälschungssicheren dynamischen QR-Code zum Einscannen hinhalten. Aber mit der Karte geht’s für beide Seiten schneller und einfacher, wie mir vor einiger Zeit einmal eine freundliche Schnellzugschaffnerin in Mähren erklärt hat. Zur Not reicht übrigens auch der Buchungscode, der mit jedem Fahrscheinkauf generiert wird. Schreibt man sich den auf einen Zettel, kann einem nicht einmal ein leerer Handyakku einen bösen Streich spielen.

Nach kurzer Fahrt über die teilweise noch sehr holprigen, teilweise frisch sanierten Lokalbahngleise erreichen wir bald den stattlichen Bahnhof Telč. Hier ist großer Fahrgastwechsel angesagt. Wir bleiben aber im Zug sitzen und beobachten wie der Fahrdienstleiter kurz darauf mit seinem altmodischen Befehlsstab das Abfahrtssignal gibt. Ein paar Minuten später steigen wir in der Haltestelle „Telč staré město“ – „Telč Altstadt“aus. Es ist eine typische tschechische Lokalbahnstation: Ein hölzerner Unterstand, ein Bahnsteig und viel Grün rundherum. Nach einem schönen Spaziergang über einen hübschen Fußweg erreichen wir dann die wunderbare Altstadt von Telč, die nicht ohne Grund auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes steht. Ein paar Stunden später machen wir uns nach einer ausführlichen Stadtbesichtigung wieder auf den Weg zum Zug. Diesmal steigen wir am Bahnhof ein. Er ist vor wenigen Jahren aufwändig renoviert und um ein modernes Busterminal ergänzt worden. Im gepflegten Warteraum stehen die in Tschechien allgegenwärtigen Automaten für Kaffee und Süßigkeiten, Bildschirme zeigen die nächsten Zug- und Busabfahrten an. Es sind nicht sehr viele an diesem frühen Samstagnachmittag. Am selbstverständlich geöffneten Fahrkartenschalter lässt sich gerade ein Fahrgast mehrere Tickets und Reservierungen für eine größere Reise ausstellen.

Endstation an der österreichischen Grenze

Unser Zug kommt diesmal pünktlich. Es ist wieder einer der modernen Stadler-Triebwagen, die  auf der Strecke Kostelec u Jihlavy – Slavonice die älteren Fahrzeuge aus einheimischer Produktion fast vollständig abgelöst haben. Durch die wunderbar grüne, weitläufige und großteils unzerstörte Landschaft geht es in gemütlichem Tempo Richtung Slavonice. Der Zug ist gut besetzt und selbst an entlegenen Haltestellen, die nur aus einer einfache Holzhütte bestehen, steigen meistens einzelne Reisende aus oder ein: Sie kommen vom Einkaufen oder haben ihr Fahrrad dabei. Nur wenige Bedarfshaltestellen durchfährt der Zug ohne Halt. Nach etwa einer Stunde erreichen wir den Endbahnhof Slavonice. Er besteht aus einem modernen Mittelbahnsteig und einem als Wohnhaus genützten und etwas heruntergekommenen Aufnahmsgebäude. Als Unterstand für die Fahrgäste dient die schön erhaltene Holzveranda des Bahnhofsgebäudes. Die Bahnanlagen wirken etwas überdimensioniert für den Endpunkt einer Lokalbahn. Und das hat einen ganz speziellen und sehr unerfreulichen Grund: In mehreren bilateralen Verträgen haben Österreich und Tschechien bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vereinbart, die seit 1945 stillgelegte grenzüberschreitende Strecke von Slavonice Richtung Waidhofen an der Thaya und Schwarzenau an der Franz-Josefs-Bahn wieder aufzubauen. Sie sollte vor allem dem starken Holzverkehr in Richtung der Sägewerke im österreichischen Waldviertel dienen, aber auch dem lokalen Ausflugsverkehr. Tschechien hat dazu alles vorbereitet. In Österreich ist das Gegenteil passiert: Der Wiederaufbau der Thayatalbahn wurde vor acht Jahren endgültig abgeblasen und auch das Reststück von Waidhofen an der Thaya nach Schwarzenau kurz darauf eingestellt. Inzwischen verläuft auf der ehemaligen Bahntrasse ein Radweg. Der große Mittelbahnsteig in Slavonice war somit eine glatte Fehlinvestition. Und die bereits aufgestellten Ausfahrsignale Richtung Österreich werden für immer Rot zeigen, während Tag für Tag Dutzende schwer mit Holz beladene Lastzüge über die enge Landstraße und durch die Ortschaften kurven.

Für uns geht’s nach einer Besichtigungstour in der schönen Stadt Slavonice und einer kleinen Stärkung in einem Café mit schattigem Gastgarten wieder  zurück nach Telč. Natürlich mit dem Zug, der wieder sehr gut frequentiert ist. Ich nütze die längere Fahrt, um an der Steckdose mein Smartphone aufzuladen. In Telč angekommen spazieren wir dann noch einmal durch die Stadt, bevor wir zum Abendessen in ein Restaurant am Rande der Altstadt einkehren.

Die letzte Etappe das Tages zurück zu unserem Quartier müssen wir dann mit dem Bus absolvieren: Der letzte Zug gegen 20.30 Uhr fährt am Samstag nicht. Für uns ist das sogar ein Vorteil: Die Haltestelle „Telč kino“ liegt nur ein paar Schritte vom Gasthaus entfernt. Allerdings müssen wir eine Fahrkarte kaufen: Die Tagesnetzkarte der Tschechischen Bahnen gilt nicht im Bus des privaten Betreibers „ICOM transport“, der im Auftrag des Landkreises Vysočina die Orte der Region an die Hauptstadt Jihlava anbindet. Egal, ob der letzte Zug am Samstag fährt oder nicht. Der Bus kommt beinahe pünktlich, der mürrische Lenker, der unseren Gruß nicht erwidert und außer den Fahrpreis zu nennen kein weiteres Wort mit uns spricht, macht dem in Tschechien schlechten Ruf seines Berufsstandes einmal mehr alle Ehre. Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir den kleinen Busbahnhof auf dem Stadtplatz von Třešť. Er liegt nur wenige Schritte von unserem Hotel entfernt.

Auf Umwegen zurück nach Linz

Am nächsten Tag geht es dann über Jindřichův Hradec und Třeboň nach Budweis. Die Autofahrt über die meist schmalen, oft sehr stark befahrenen Hauptstraßen und durch unzählige Ortschaften macht keine rechte Freude. Erst vor Budweis geht es über eine breite Fernstraße und dann über eine Schnellstraße etwas besser  voran. Auch die letzte Etappe von Budweis nach Linz, die wir nach einem Mittagessen und einem größeren Einkauf in einem Supermarkt in Angriff nehmen, erweist sich als sehr mühsam: Die Hauptstraße in Richtung der österreichischen Grenze bei Wullowitz ist wegen Bauarbeiten gesperrt. Wir müssen Richtung Český Krumlov / Krumau fahren und dann über eine schmale Nebenstraße wieder zur Fernstraße 3 Richtung Österreich zurückfahren. Immerhin ist die Umleitung auch hier wieder sehr gut beschildert und um das Abbiegen von der stark befahrenen Hauptstraße Budweis – Krumau zu erleichtern, hat man sogar eine eigene Ampel aufgebaut. Es sollte nicht die letzte Ampel sein, die uns begegnet: Die Fernstraße 3 wird an mehreren Stellen neu asphaltiert, der Verkehr muss sich einspurig an der Baustelle vorbeischlängeln. Im Ort Kaplice nádraží, der kleinen Siedlung rund um den weitab von Kaplice gelegenen Bahnhof, stehen wir dann gut eine halbe Stunde im Stau: Ist endlich die Ampel für uns auf Grün gesprungen, senken sich die Bahnschranken und der Expresszug Richtung Linz fährt durch. Wie zum Beweis dafür, dass die Bahn  für die Fahrt von Budweis nach Linz eindeutig die bessere Wahl ist. Trotz der langen Fahrzeit.

Im Ersatzbus von Rijeka zurück Richtung Linz: ein wahres Reise-Abenteuer

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Ersatzbus Rijeka – Ljubljana vor der Abfahrt im Bahnhof Rijeka.

Von Daniel Kortschak

Nach der problemlosen Anreise, einer Woche Urlaub und einem rasanten Ausflug nach Opatija und Lovran mit dem Bus trete ich die Rückreise von Rijeka nach Linz an. Sie sollte zu einem ziemlichen Abenteuer werden.

Wie in Teil zwei des Reiseberichts geschildert, geht es in Rijeka nicht mit dem Zug, sondern mit dem Schienenersatz-Bus los. Nach der Abfahrt quetscht sich der gut besetzte slowenische Ersatzbus durch den dichten Stadtverkehr in Rijeka und nimmt Kurs auf den ersten Zwischenstopp: Opatija-Matulji. Der malerische, von Kletterpflanzen bewachsene Bahnhof bindet den bekannten Kur- und Ferienort Opatija an das Eisenbahnnetz an. Dementsprechend warten dort zahlreiche weitere Fahrgäste auf unseren Bus. Und auch wieder mehrere Radfahrer: Sie haben Pech. Ihre Fahrräder haben im vollen Kofferraum einfach keinen Platz mehr. Sie müssen jetzt eine andere Lösung finden, wie sie weiterkommen. Als wir einige Minuten später pünktlich abfahren, diskutieren die Radler noch immer angeregt mit dem Fahrdienstleiter.

Unser jetzt fast voll besetzter Ersatzbus quält sich unterdessen durch eine große Baustelle an der Autobahnabfahrt und dann geht es weiter auf der alten Hauptstraße durch den Karst. Hier gehen auch die ersten Regenschauer nieder. Es sollten nicht die letzten an diesem langen Tag bleiben. Über eine steile, schlecht befestigte Straße erreichen wir schließlich den kroatischen Grenzbahnhof Šapjane. Hier steigen noch einige wenige Fahrgäste zu. Und auch der slowenische Schaffner wartet in seiner auffälligen petrolgrünen Uniform schon auf uns. Weil der Zug für den Lokwechsel und die Grenzkontrolle hier reichlich Aufenthalt hätte, vertreiben sich Busfahrer, Fahrdienstleiter und Schaffner die Zeit bis zur planmäßigen Abfahrt noch mit einem gemütlichen Plausch. Auch einer der Stellwerkswärter, die zuvor in Rijeka mangels Zugverkehr entspannt am Schrankenposten Karten gespielt und Kaffee getrunken haben, gesellt sich plötzlich dazu. Kurz darauf wird auch klar, was er hier macht: Er ist mit einem VW-Bus dem Ersatzbus gefolgt. Seine Aufgabe ist es jetzt, den kroatischen Schaffner nach Rijeka zurückzubringen. Er müsste sonst viele Stunden auf den nächsten Zug warten.

Überpünktlich gibt dann der Fahrdienstleiter das Abfahrtssignal. Das lässt er sich auch bei einem Bus nicht nehmen. Es geht zurück auf die Hauptstraße und bald darauf auf die Autobahn. Und dort erwartet uns die nächste böse Überraschung: Es staut sich gewaltig vor dem Grenzübergang Rupa. Stoßstange an Stoßstange stehen hier Autos und Wohnmobile. Kein Wunder, ist es doch das Ende eines verlängerten Wochenendes, das viele für einen Kurzurlaub am Meer genutzt haben. Welcher Teufel mag die Slowenischen Eisenbahnen wohl geritten haben, dass sie ausgerechnet an diesem Sonntag Schienenersatzverkehr eingerichtet haben? Während wir uns in der langen Autoschlange nur Meter für Meter vorwärts bewegen, rauschen auf dem Pannenstreifen immer wieder Motorradfahrer an uns vorbei. Das bringt unseren Schaffner, der immer nervöser abwechselnd auf die Uhr und auf seinen Fahrplanausdruck schaut, auf eine Idee. Wir könnten doch auch … Der slowenische Busfahrer ist skeptisch, fürchtet Ärger mit den Grenzpolizisten. Aber irgendwann gibt er dem Drängen nach, schwenkt nach rechts aus, schaltet zurück und gibt ordentlich Gas.

Ein Polizist traut seinen Augen nicht

So stehen wir schließlich vor dem kroatischen Grenzbalken. Und warten. Irgendwann kommt dann ein junger Polizist aus seinem Kabuff. Der slowenische Schaffner erklärt, dass wir eigentlich ein Zug sind und es eilig haben. Das Gesicht des Grenzbeamten mutiert zu einem großen Fragezeichen. Wer denn Veranstalter dieser Reise sei, will er wissen. Der Schaffner sagt, der Bus sei von den Slowenischen Eisenbahnen. Der Polizist schaut ungläubig. Der Schaffner zeigt genervt auf das „Ersatzverkehr“-Schild mit dem Logo der slowenischen Eisenbahnen hinter der Windschutzscheibe. Der Polizist zückt einen Block, schreibt ungelenk den Text des Schildes ab, dann notiert er umständlich das Kennzeichen und den Namen des Busunternehmens. Er zögert, ist kanpp davor, uns durchzuwinken. Dann fragt er doch nach der Nationalität der Fahrgäste. „Slowenen, Kroaten, Touristen aus aller Welt“, antwortet der Schaffner. Ein Fehler: Jetzt will der Polizist natürlich die Pässe sehen. Er geht durch den Bus, prüft kurz die Ausweise der EU-Bürger. Mit vier Pässen von Touristen aus Übersee geht er dann in sein Häuschen. Der Schaffner stöhnt, der Busfahrer stößt leise Flüche aus. Nach ein paar Minuten kommt der Polizist zurück, gibt die Pässe an ihre Besitzer zurück uns sagt: „Ok, ihr könnt fahren.“

Schikane an der slowenischen Grenze

Weit kommen wir nicht: Nach wenigen Metern stehen wir vor dem slowenischen Grenzbalken. Der Schaffner steigt aus, erklärt dem Polizisten in seinem Glasverschlag die Lage. Das interessiert den Beamten freilich überhaupt nicht. „Alle aussteigen und einzeln antreten zu Passkontrolle“, lautet der Befehl. Der Schaffner gibt die Info an die Fahrgäste weiter und mahnt zu Eile. Als einige Passagiere nach der Kontrolle wieder in den Bus steigen wollen, unterbricht der Polizist seine Tätigkeit und bekommt einen Wutanfall. Die Fahrgäste müssen zu Fuß über die Grenze und ein paar Meter weiter vorne auf den Bus warten. Der Bus muss leer die Grenze überqueren. In der prallen Sonne warten wir also auf einem total zugemüllten Seitenstreifen, bis der unfreundliche slowenische Polizist auch den letzten Ausweis gescannt hat.

Nach einer gefühlten Ewigkeit geht‘s schließlich weiter: Über die immer noch nicht ausgebaute slowenische Hauptstraße, die hinter der Grenze an die moderne kroatische Autobahn anschließt. Verschärft wird die ohnehin mühsame Fahrt durch unzählige Ortschaften und unübersichtliche Kurven noch durch Baustellen: Alle paar Kilometer gibt es ein Tempolimit, mehrere Baustellenampeln bremsen uns zusätzlich aus. Wir sind inzwischen weit hinter unserem Fahrplan, die Sorgenfalten des Schaffners werden immer größer. Irgendwann erreichen wir dann doch den slowenischen Grenzbahnhof Ilirska Bistrica. Er liegt praktischer Weise direkt an der Hauptstraße. Der Schaffner verkündet eine kurze WC-Pause. Auch das sollte sich als Fehler erweisen: Nach und nach suchen immer mehr Fahrgäste die Toilette auf. Als wir schon weiterfahren wollen, muss noch jemand. Nach gut 20 Minuten geht es dann doch noch weiter. Wir könnten jetzt auf die Autobahn auffahren und bis Ljubljana wertvolle Zeit gut machen. Aber Schaffner und Fahrer haben die Anweisung, alle Unterwegshalte des Zuges anzufahren. Das ist ein mühsames Unterfangen, weil die Stationen oft sehr abgelegen und mit dem großen Bus nur schwer zu erreichen sind. Dementsprechend derb fallen die Flüche des Chauffeurs aus.

Inzwischen haben wir über eine Stunde Verspätung und ich sehe schwarz für meinen Anschluss Richtung Villach, zu dem ich in Ljubljana knapp 40 Minuten Umsteigezeit hätte. Auch die Radfahrer, die nach München wollen, bangen um ihre Weiterreise. Als Alternative bietet sich für mich noch die Fahrt über Wien an. Da müsste der Anschluss ganz knapp klappen. Das bedeutet für mich aber eine Verlängerung der Reisezeit um mehr als zwei Stunden und Probleme mit der Fahrkarte.

Ich spreche den Schaffner auf die Situation an und er verspricht, die Lage mit der Betriebszentrale der Slowenischen Eisenbahnen abzuklären. Während wir im Regen auf schmalen Straßen von einem kleinen Bahnhof zum nächsten fahren, telefoniert der Schaffner mit der Zentrale. Man werde sich bemühen, in Ljubljana alle Anschlüsse herzustellen, heißt es von dort. Der Schaffner bekommt den Auftrag, ab sofort laufend die aktuelle Position durchzugeben.

Parallel dazu telefoniert der Busfahrer mit seinen Kollegen, die die Strecke von Ljubljana zum Grenzbahnhof Jesenice im Ersatzverkehr befahren. Dort ist der Fahrplan mittlerweile auch ziemlich aus dem Takt geraten: Die Busse stecken im dichten Rückreiseverkehr im Stau. Zusätzlich gilt es noch zu klären, wie die vier bei uns verladenen Fahrräder am einfachsten und schnellsten Richtung Villach kommen.

Der Bus fährt spontan weiter als geplant

Kurz vor Ljubljana gibt’s dann die überraschende Lösung: Unser Bus fährt nach kurzem Halt am Bahnhof von Ljubljana direkt weiter nach Jesenice. Dort soll der Zug nach Villach auf uns warten. Und auch der Eurocity Richtung Wien wird in Ljubljana auf uns warten. In Ljubljana angekommen nimmt uns ein Fahrdienstleiter der Slowenischen Eisenbahnen in Empfang. Er steht über Funk in Kontakt mit der Betriebszentrale. Und er begeht einen schweren Fehler: Er erlaubt einigen Fahrgästen, schnell zur Toilette zu gehen. Der Busfahrer protestiert, doch da sind die Leute schon auf dem Weg Richtung Bahnhofsgebäude. Als sie wenig später mit Bierdosen und McDonald’s-Menüs zurückkommen, ist der bis jetzt sehr freundliche Buslenker außer sich vor Wut. Und er verbietet das Essen des McDonald’s-Zeugs in seinem Bus. Unser Schaffner verabschiedet sich inzwischen. Er hat in Ljubljana Dienstschluss. Ich danke ihm herzlich für seinen Einsatz. Als einziger. Er freut sich sichtlich, gibt aber bescheiden zurück: „That’s my job!“ Wenn das nur mehr seiner Kollegen jenseits der Grenze auch so sehen würden …

Unser Bus macht sich schließlich auf den Weg Richtung Villach. Weit kommen wir allerdings nicht: Auf der Nordausfahrt von Ljubljana stecken wir schon wieder im Stau. Der Busfahrer, jetzt ganz auf sich alleine gestellt, telefoniert immer wieder mit dem Bahnhof in Jesenice. Von dort heißt es: Kein Problem, wir warten. Und als wir dann eine Stunde später vor dem großen, schmutzig-grauen Bahnhofsgebäude in Jesenice halten, steht tatsächlich der Eurocity Richtung Villach auf dem Hausbahnsteig bereit. Der Busfahrer und mehrere Mitarbeiter der Slowenischen Eisenbahnen weisen den Weg und helfen uns mit dem Gepäck. Wir warten noch kurz auf einen weiteren Bus, dann geht es endlich los Richtung Villach. Der österreichische Zugbegleiter lässt sich zunächst nicht blicken und macht auch keine Durchsagen. Kurz vor Villach, wir fahren gerade den schönen Faaker See entlang, kommt er dann doch noch vorbei. Er erklärt etwas lustlos, dass der Railjet Richtung Salzburg und München leider nicht warten kann und verweist auf den Intercity zwei Stunden später. Und er sagt, ich könne mir in Villach am Fahrkartenschalter einen Essensgutschein abholen.

ÖBB-Essensgutschein: Bürokratie vom Feinsten

Gesagt, getan, ich gehe gleicht nach der Ankunft in Villach zum Schalter. Zum Glück bin ich einer der ersten. Hinter mir bildet sich eine lange Schlange von genervten, müden und hungrigen Fahrgästen. Trotzdem stehe ich lange an, denn die einzige am Sonntagabend noch Dienst tuende junge Mitarbeiterin ist einigermaßen überfordert mit der Situation. Zum Glück erklärt ihr ein älterer Kollege auf dem Weg in den Feierabend noch schnell, wie man solchen Gutscheine ausstellt. Das System der ÖBB ist auch ausgesprochen umständlich: Während bei der Deutschen Bahn nach Vorweisen der Fahrkarte einfach kleine Zettelchen ausgegeben werden, die man bei Gastronomiebetrieben im Bahnhof einlösen kann, drucken die ÖBB jedem Reisenden einen Gutschein mit einem elektronischen Code aus, den man dann für Bahnleistungen einlösen kann. Dazu muss man seinen Namen diktieren (er würde in meinem Fall auch auf der Fahrkarte stehen, aber gut), den tippt die Kassenmitarbeiterin dann umständlich in den Computer, steht auf, geht quer durch den Raum zum Drucker und kommt mit mehreren Zetteln zurück. Einer ist der Gutschein, auf den anderen muss man mehrfach den Erhalt des Gutscheins per Unterschrift bestätigen.

Man könnte fast meinen, ein findiger Kopf in der ÖBB-Zentrale hätte das alles bewusst so kompliziert gestaltet. Frei nach dem Motto: „Das wird den meisten schnell zu blöd werden.“ Tatsächlich ist das ein unverhältnismäßiger Aufwand für gerade einmal acht Euro. Und es darf bezweifelt werden, dass diese hochbürokratische Lösung im Sinne der EU-Fahrgastrechteverordnung ist. Egal, ich packe meinen Gutschein ein und gehe Richtung Stadtzentrum, wo ich mich im örtlichen Braugasthaus mit Kärntner Spezialitäten stärke. Mit meinem riesigen Rucksack falle ich nicht weiter auf: Ich bin nicht der einzige gestrandete Reisende, der hier Zuflucht gefunden hat. Die ÖBB bescheren dem Wirt ein gutes Geschäft am Sonntagabend.

Im vollen Intercity weiter nach Salzburg

Zurück am Bahnhof ist der Bahnsteig bereits voller Leute. Auch die Radfahrer aus dem Bus sind wieder da. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, ob der Intercity die Fahrgäste aus zwei Zügen aufnehmen können wird, dazu noch jede Menge Urlaubsgepäck und mehrere Fahrräder ohne reservierten Stellplatz. Aber wir haben alle Platz. Bei den Fahrrädern drückt die freundliche Zugchefin alle Augen zu und lässt sie dort verstauen, wo sie am wenigsten stören: auf der hinteren Einstiegsplattform des letzten Wagens zum Beispiel. Etwas, das in Tschechien ganz regulär erlaubt, in Österreich aber eigentlich streng verboten ist. Unsere Abfahrt verzögert sich noch um wenige Minuten, wie die Zugchefin mit Bedauern durchsagt. Wir warten noch auf Anschlussreisende. Wie sich herausstellt, hat der Railjet aus Venedig wieder einmal Verspätung. Auch die recht zahlreichen Umsteiger von dort finden noch Platz in unserem Zug. Mit rund zehn Minuten Verspätung geht’s dann los.

Bis Salzburg haben wir die dann wieder eingeholt: Nach einer angenehmen Fahrt in den bequemen Intercity-Wagen erreichen wir pünktlich den Salzburger Hauptbahnhof. Ich genieße beim Warten auf den Railjet Richtung Linz die laue Abendluft. Und stelle fest, dass die Radfahrer aus dem Bus heute nicht mehr nach München kommen. Sie müssen entweder in Salzburg übernachten oder auf den Nachtzug warten, der mitten in der Nacht in Salzburg abfährt. Und ausgerechnet aus Rijeka kommt! „Das hätten wir auch einfachen haben können“, stellt einer der Radler etwas ernüchtert fest. Wie wahr! Der Nachtzug war von der Streckensperre in Slowenien nicht mehr betroffen und fährt planmäßig von Rijeka bis München durch. Ich wünsche den vier Radlern trotzdem eine gute Weiterreise bzw. eine gute Nacht in Salzburg und steige in den bummvollen Railjet Richtung Wien. Eine gute Stunde später bin ich endlich in Linz. Und falle nach dem kurzen Fußmarsch vom Bahnhof sofort todmüde ins Bett.

Fazit: Großes Reiseabenteuer für wenig Geld

Nach einer Woche Erholung am Meer hat mich dieses Reiseabenteuer mehr amüsiert als aufgeregt, einmal abgesehen vom unverschämten Verhalten der slowenischen Grenzpolizei. Und als ich zwischendurch nicht mehr sicher war, wenigstens den Eurocity von Ljubljana nach Wien zu erreichen, hat sich auch leichtes Unbehagen breit gemacht, ob ich es überhaupt noch rechtzeitig zu Dienstbeginn am Montag nach Linz schaffe. Immerhin habe ich gelernt, dass die Slowenischen Eisenbahnen zwar einen höchst unglücklichen Termin für ihre Streckensperre samt Schienenersatzverkehr gewählt haben, sich dafür aber wirklich vorbildlich um ihre Fahrgäste gekümmert haben.

Und ich habe viel Geld gespart: Die Hälfte des ohnehin günstigen Fahrpreises habe ich wegen der großen Verspätung zurückerstattet bekommen. Dazu noch den Essensgutschein. Insgesamt hat mich die Fahrt von Rijeka nach Linz so genau 16 Euro gekostet. Auch nicht schlecht.

Stadtbusfahrt Rijeka – Opatija – Lovran: mit Vollgas über die Küstenstraße

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Abfahrtshaltestelle der Buslinie 32 Rijeka – Opatija – Lovran. (Foto: Daniel Kortschak)

Nach meinem Fahrradurlaub auf den Inseln in der Kvarner Bucht verbringe ich noch einen Tag in Rijeka und mache einen Ausflug Richtung Opatija. Die Busfahrt ist nichts für schwache Nerven.

Von Daniel Kortschak

Nach der problemlosen Anreise und einem schönen Urlaub geht es etwas mehr als eine Woche später wieder zurück von Rijeka nach Linz. Die Fahrt war wieder mit der Bahn geplant. Weil keine günstige durchgehende Fahrkarte zu bekommen war, gehe ich am Vortag zum Bahnhof Rijeka. Der nagelneue Fahrkartenautomat, der in einer Ecke der völlig desolaten Kassenhalle steht, kann mir nicht weiterhelfen: Er verkauft nur Inlandsfahrkarten. Aber die freundliche Dame hinter dem heruntergekommenen Schalter hat das richtige Ticket für mich: Ein Ljubljana-Spezial für ungerechnet neun Euro. Die im kräftigen Blau der kroatischen Personenverkehrsgesellschaft HŽPP neu eingekleidete Frau spricht auch ein bisschen englisch. So ist der Kauf schnell erledigt: Sie tippt ein wenig auf ihrem modernen Touchscreen-Terminal herum und druckt mir die Fahrkarte aus. Auch die Bezahlung mit Kreditkarte ist kein Problem, selbstverständlich geht es berührungslos in wenigen Sekunden. Im Bahnhof hängen einige Baustelleninfos aus, ich schenke den weißen Zetteln aber keine Beachtung und mache mich wieder auf den kurzen Fußweg Richtung Innenstadt.

Eine böse Überraschung kommt selten alleine

Erst bei der Kaffeepause überprüfe ich den Fahrplan in der ÖBB-App „Scotty“ noch einmal. Und erlebe eine böse Überraschung: Wegen Bauarbeiten ist an meinem Reisetag Schienenersatzverkehr zwischen Ljubljana und dem Grenzbahnhof Jesenice angekündigt. Es ist auch von Verspätungen die Rede. Aber der knappe Anschluss in Villach zum Railjet Richtung Salzburg (und weiter nach München) ist weiterhin angegeben. Ich traue der Sache nicht und gehe auf die Seite der Slowenischen Eisenbahnen. Dort erlebe ich prompt die nächste böse Überraschung: Auch zwischen Rijeka und Ljubljana ist Schienenersatzverkehr eingerichtet. Ein Gegencheck auf der Website der kroatischen Bahn bestätigt das. Ich muss also tatsächlich in Ljubljana von einem Ersatzbus in den anderen umsteigen, in Jesenice dann noch einmal auf den Zug Richtung Österreich. Ein weiterer Umstieg. Viermal umsteigen mit schwerem Gepäck macht keine Freunde. Und ich bin verärgert, dass diese Baumaßnahmen so kurzfristig angekündigt werden. Hätte ich früher davon erfahren, wäre ich einen Tag früher zurückgereist. Jetzt ist es zu spät: Der Mittagszug ist abgefahren, Hostel und Fahrkarte sind gebucht und nicht mehr stornierbar. Ich bin heilfroh, dass ich wenigstens nicht mein eigenes Fahrrad dabeihabe. Denn in den Baustelleninfos steht zu lesen „Keine Fahrradbeförderung in den Ersatzbussen.“

Wilder Ritt über die Küstenstraße

Nach einem Kaffee, einem Eisbecher und einem Spaziergang durch die Altstadt von Rijeka ist der Ärger aber schnell wieder verraucht. Ich beschließe, mich von den schwarzen Gewitterwolken nicht abhalten zu lassen und trotzdem wie geplant noch einen Ausflug in den eleganten Kur- und Badeort Opatija zu machen. Dorthin, wo ich seinerzeit als Jugendlicher mit meinen Eltern Urlaub gemacht habe. Am Busbahnhof, der nur aus einer großen Asphaltfläche, ein paar angerosteten Haltestellenschildern und einem großen Bürocontainer besteht, kaufe ich durch ein winziges Fensterchen bei einer etwas gelangweilten jungen Dame eine Zwei-Fahrten-Karte für vier Zonen. Für umgerechnet etwas mehr als vier Euro ein günstiges Angebot. Mein Bus fährt aber nicht Busbahnhof, sondern von einer etwa 300 Meter entfernten eigenen Haltestelle ab. Als ich ankomme, steht er schon da, „32 Opatija – Lovran“ steht drauf, der Motor läuft. Es ist ein ganz moderner Iveco-„Urbanway“-Gelenkbus mit Erdgasantrieb. Fahrer ist aber keiner zu sehen. Der kommt erst ein paar Minuten vor der Abfahrt, öffnet den Bus mit einem versteckten Taster und lässt uns einsteigen. Drinnen läuft in voller Lautstärke ein lokaler Radiosender, und es ist kalt wie in einem Kühlschrank. Die Klimaanlage ist ein großer Komfortgewinn gegenüber den uralten MAN-Bussen aus jugoslawischer bzw. slowenischer Lizenzfertigung, die jahrzehntelang auf dieser Strecke unterwegs waren und deren nur etwas jüngere Nachfolger noch immer in großer Zahl über die holprigen Straßen von Rijeka und Umgebung rattern.

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Kaum einen Unterschied zu früher gibt es auch beim Fahrstil: Auch mit dem neuen Bus kennt der braun gebrannte Lenker nur ein Motto: Immer Vollgas. Nur bei der Beschleunigung tut sich der schwere Gasbus mit seinem Automatikgetriebe im Vergleich zu den alten, handgeschalteten Jugo-MAN deutlich schwerer. Trotzdem ist die Fahrt über stellenweise kurvige und schmale Küstenstraße auch im modernen Iveco ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Bald erreichen wir Opatija, im dortigen Busbahnhof haben wir kurz Aufenthalt, weil wir vor der planmäßigen Abfahrtszeit angekommen sind. Bei dem Fahrstil kein Wunder. Zeit, um einem Mechaniker dabei zuzusehen, er versucht, den nebenan mit offener Kühlerklappe abgestellten älteren Mercedes-„Conecto“-Gelenkbus wieder flottzukriegen. Die größere Lacke einer nicht näher definierbaren Betriebsflüssigkeit, die sich unter dem Bus ausbreitet und den derben Flüchen des Handwerkers nach zu schließen, dürfte es sich um einen größeren Defekt handeln. Wir fahren davon unbeeindruckt weiter, im Höllentempo ist bald darauf Lovran erreicht. Dort steige ich aus und gönne mir im örtlichen Gasthaus ein paar Grillspezialitäten. Nach einer anschließenden längeren Wanderung über die herrliche Franz-Josef-Promenande entlang der Adriaküste und einem letzten Bier im malerischen Fischerdorf Volosko geht es zurück nach Rijeka. Über eine steile Stiege und zwischen alten Steinhäusern hindurch erreiche ich die Bushaltestelle. Die ist seit meinem letzten Besuch vor ein paar Jahren deutlich modernisiert worden: Dort, wo der Bus früher einfach mitten auf der Straße stehenblieb und man sich an der steinernen Begrenzungsmauer vorbei aus dem Fahrzeug zwängen musste, gibt es jetzt einen gläsernen Unterstand. Einen Fahrplanaushang sucht man in der dafür vorgesehenen Vitrine allerdings vergeblich. Und statt des Haltestellenschildes ragt nur eine schiefe Metallstange in den Himmel. Die Haltestellentafel dürfte wohl irgendwann abgerostet sein.

Ich bin trotzdem zuversichtlich, dass hier in ein paar Minuten ein Bus nach Rijeka stehenbleiben wird und genieße inzwischen die milde Abendluft und den Ausblick auf den hübschen Ort und das Meer. Tatsächlich kommt wenig später ein älterer Mercedes-Citaro-Niederflurbus angerauscht. Als ich heftig winke, setzt er den Blinker und bleibt in der Busbucht stehen. Der Fahrer erwieder meinen Gruß mit einem freundlichen „Večer!“ („Abend!“), ich stecke meine Fahrkarte in den altmodischen Entwerter und es geht los. Natürlich wieder in atemberaubendem Tempo: „Immer Vollgas“ ist Hausbrauch bei „Autotolej“, dem kommunalen Verkehrsbetrieb der Region Rijeka. Der Bus ist fast voll besetzt: Viele junge Leute auf dem Weg zur Abendunterhaltung in Rijeka, ein paar Angestellte der vielen Tourismusbetriebe in und um Opatija auf dem Heimweg von der Schicht und ein paar seltsame Gestalten, die den Tag offenbar mit sehr ausführlichem Alkoholkonsum verbracht haben. Aber alle haben gute Laune, es herrscht ausgelassene Stimmung im Bus. Auch der Lenker hat sichtlich Spaß an seinem Ritt über die kurvige und mit Schlaglöchern gespickte Küstenstraßen. Der Bus quittiert das mit lautem Rumpeln und Scheppern und aus dem Heck kommt irgendwann der etwas beißende Geruch von Plastikteilen und Betriebsflüssigkeiten, die etwas sehr heiß geworden sind. Wir kommen aber wohlbehalten in Rijeka an. Das ist nicht immer der Fall: Erst kürzlich ist wieder ein städtischer Linienbus mitten in Rijeka in Flammen aufgegangen. Passiert ist außer Sachschaden zum Glück nichts.

Wo bleibt der Ersatzbus?

Am nächsten Morgen drehe ich in Rijeka noch eine Runde über den schönen Markt, statte der wunderschönen Fischhalle einen Besuch ab und wundere mich über den immer weiter fortschreitenden Ver-, ja den buchstäblichen Zerfall der beiden wunderschönen historischen Markthallen. Nachdem ich etwas Proviant für die lange Reise besorgt und mich noch mit einem starken Cappuccino und einer ebenso typischen wie picksüßen kremšnita gestärkt habe, geht’s zurück zum Hostel und dann zum Bahnhof. In der schäbigen Kassenhalle angekommen, steht auf dem Abfahrtsanzeiger neben allen Zügen statt des Bahnsteigs „Bus“. Also ist auch die Strecke Richtung Zagreb offenbar gesperrt. Das erklärt, warum die Eisenbahner am Schrankenposten, den ich kurz zuvor passiert habe, entspannt in der Weinlaube neben der Postenhütte Kaffee getrunken und Karten gespielt haben. Ich studiere die verschiedenen Info-Aushänge neben den Fahrplänen. „Die Ersatzbusse halten jeweils auf den Bahnhofsvorplätzen“, steht dort zu lesen. Nur auf Kroatisch, versteht sich. Aber so weit reichen meine Sprachkenntnisse zum Glück. Zunächst suche ich die Bahnhofstoilette auf. Man weiß ja nie, was einen auf langen Busfahrten so erwartet. Obwohl gerade die Putzfrau aus der Herrentoilette kommt, ist der Besuch der Bedürfnisanstalt ein im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubendes Erlebnis. Doch dieser WC-Gang sollte sich noch als sehr vorausschauend erweisen.

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Anschließend packe ich meinen Rucksack in die Transporthülle und schleppe ihn auf den Bahnhofsvorplatz. Die Abfahrtszeit rückt immer näher, aber es kommt kein Bus, der nach Schienenersatzverkehr aussieht. Denn dass einer der klapprigen Stadtbusse den weiten Weg nach Ljubljana fahren würde, schließe ich aus. Er würde mit Sicherheit spätestens nach der halben Strecke auseinander fallen. Etwa zehn Minuten vor der planmäßigen Abfahrtszeit schleppe ich mein Gepäck wieder in die düstere Schalterhalle und frage nach dem Verbleib des Busses. Auch das geht irgendwie auf Kroatisch. Der Bus sei schon da, stehe da drüben neben der Fahrdienstleitung. Und tatsächlich, gut versteckt im Schatten des Bahnhofsgebäudes steht in einer Zufahrt zum Hausbahnsteig ein moderner Reisebus, beschriftet mit „Slowenische Eisenbahnen“ und „Schienenersatzverkehr Rijeka – Ljubljana“.

Rund um den Bus herrscht hektisches Treiben: Der Buslenker hilft gerade vier Radfahrern, die wie viele andere Reisende auch vom kurzfristig angekündigten Schienenersatzverkehr überrascht wurden, beim Verstauen ihrer Räder. Doch die großen Tourenräder sind zu groß für den Kofferraum und müssen teilweise zerlegt werden. Einer der zahlreichen kroatischen Eisenbahner, die das Treiben in Ermangelung anderer Aufgaben – es fahren ja gerade keine Züge – interessiert beobachten, eilt mir Werkzeug herbei. Damit ist die Aufgabe schnell gelöst. Zur Sicherheit wacht auch der schon ziemlich ergraute und weitgehend zahnlose Bahnhofspolizist über das Geschehen. Während der Busfahrer mit einem ordentlich angetrunkenen Fahrgast diskutiert und ihn eindringlich ermahnt, im Bus weder zu trinken noch sich zu übergeben, dreht der Fahrdienstleiter noch eine Runde über den Bahnsteig, den Vorplatz und durch die Kassenhalle, um sicherzugehen, dass auch wirklich alle Reisenden den Ersatzbus gefunden haben. Dann geht es fast pünktlich los. Es sollte der Beginn eines langen Reiseabenteuers werden. Mehr dazu im dritten Teil des Reiseberichts.

Mit der Bahn von Linz nach Rijeka: pünktlich und problemlos

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Der D/EC 211 „Sava“ kurz vor der Abfahrt in Villach Hauptbahnhof. (Foto: Daniel Kortschak)

Zu meinem Fahrradurlaub in der Kvarner Bucht fahre ich von Linz nach Rijeka mit der Bahn. Dazu muss ich zwar dreimal umsteigen und sitze über neun Stunden im Zug. Aber die Fahrt verläuft problemlos und fast pünktlich.

Von Daniel Kortschak

Ein Fahrradurlaub hat mich kürzlich nach Kroatien geführt. Ein kurzer Blick in die Fahrplanauskunft hat eine gute Bahnverbindung von Linz nach Rijeka und wieder zurück gezeigt. Zwar mit dreimaligem Umsteigen, aber ohne längere Wartezeiten. Deshalb habe ich mich für die Reise mit dem Zug entschieden. Sogar mein eigenes Fahrrad hätte ich mitnehmen können. Letztlich habe ich dieses Angebot aber nicht genutzt und mir vom Reiseveranstalter ein Fahrrad ausgeborgt. Eine weise Entscheidung, wie sich im weiteren Verlauf der Reise noch zeigen sollte.

Schwierige Suche nach günstigen Fahrkarten

Nicht so einfach war der Kauf der Fahrkarten: Die ÖBB boten günstige Sparschiene-Tickets nur für die Nachtzugverbindung an. Die schied aber aus mehreren Gründen aus: Der Schlafwagen fährt nur in der Hauptsaison von Juni bis September, ein Liegewagen wird nicht angeboten. Und auf eine Nacht im Sitzwagen hatte ich aus Komfort- und Sicherheitsgründen keine Lust. Zudem muss man jeweils mitten in der Nacht in Salzburg umsteigen – der Euronight-Zug fährt die Strecke Zagreb/Rijeka – München. Ein Vollpreis-Ticket Linz – Rijeka hätte mit 63 Euro pro Richtung zu Buche geschlagen, trotz Vorteilscard. Da zeigen sich die Auswirkungen der kürzlich von 25 auf 15 Prozent reduzierten Railplus-Ermäßigung im Ausland leider sehr deutlich.

Ein wenig Recherche im Netz hat dann eine günstigere Alternative ergeben: Die slowenische und die kroatische Bahn bieten ein „Rijeka-“ bzw. „Ljubljana – Spezial“ an: für sensationell günstige 9 Euro und ohne Vorkaufsfrist. Allerdings ist das Spezial nicht online erhältlich. Aber die rund 40 Minuten Übergangszeit in Ljubljana würden wohl reichen, um den günstigen Fahrschein dort im Reisezentrum zu kaufen. Allerdings bringt man sich bei der Teilung des Fahrscheins um die Fahrgastrechte: Das heißt, geht der Anschluss in Ljubljana verloren, hat man weder Anspruch auf Entschädigung noch auf eine alternative Weiterbeförderung bzw. Hotelübernachtung. Schließlich habe ich mich für einen kleinen Trick entschieden und ein Europa-Spezial der Deutschen Bahn nach Rijeka gekauft. Für sehr günstige 29,85 Euro mit Bahncard-25-Ermäßigung. Die Details dazu bleiben aber mein Geheimnis, die gewählte Konstruktion erfordert nämlich eine sehr kreative Interpretation der Tarifbestimmungen.

Über Salzburg und Villach nach Ljubljana

Los ging‘s schließlich um 8.30 Uhr mit der „Westbahn“ von Linz nach Salzburg. Mit dem ÖBB-Railjet hätte ich noch eine Viertelstunde später abfahren können. Die Fahrt mit der „Westbahn“ ist allerdings ein wenig günstiger, seitdem man dort mit einer beliebigen europäischen Bahnermäßigungskarte 10 Prozent Rabatt auf den Normalpreis bekommt. Außerdem verlängert sich durch diese Variante die Kaffeepause in Salzburg ein wenig. In Salzburg angekommen mache ich es mir in der ÖBB-Lounge gemütlich: Mit der internationalen DB-Fahrkarte und der Bahncard mit Comfort-Status kein Problem.

Kurz nach 10 Uhr geht es dann mit dem Railjet 111 „Hohe Tauern“ weiter nach Villach. Der Zug kommt pünktlich aus München und ist zum Glück nicht sehr voll. Die Fahrt über die Tauernbahn verläuft unspektakulär und wir erreichen pünktlich Villach. Auf dem Gleis gegenüber wartet schon der Schnellzug 210 „Sava“, der über Ljubljana und Zagreb nach Vinkovci an der serbischen Grenze fährt. Er besteht hauptsächlich aus mehrere Jahrzehnte alten Wagen der Slowenischen Eisenbahnen. Nur ganz an der Spitze, direkt hinter der slowenischen Mehrsystemlok der Reihe 541, hängt ein modernisierter Beelt-Abteilwagen der kroatischen Bahn. Er ist als einziger klimatisiert und sehr gepflegt. Und fast leer, denn die meisten Reisenden sind weiter hinter eingestiegen. Einzig an das in schrillem Grün gehaltene Interieur muss man sich ein wenig gewöhnen.

Die Fahrt über die Karawankenbahn, durch den langen Tunnel und weiter nach Ljubljana verläuft problemlos und wegen des schlechten Ausbau- und Erhaltungszustandes der Strecke sehr gemächlich. Deutlich zu bemerken ist die österreichisch-slowenische Staatsgrenze mitten im Karawankentunnel: Der Zug bremst, dann rumpelt und wackelt es. Die schon vor einigen Jahren von Österreich und Slowenien vereinbarten gemeinsamen Modernisierungsmaßnahmen im Tunnel sind offenbar bis jetzt nicht vom Fleck gekommen.

Ljubljana erreichen wir mitten in einem Gewitter. Es schüttet wie aus Kübeln. Ich sehe mich etwas auf den Bahnsteigen um, die noch den Charme der längst untergegangenen Jugoslawischen Staatsbahnen verströmen. Auch die meisten Waggons und Triebwagen der Slowenischen Eisenbahnen (SŽ ) sind noch in der Tito-Zeit beschafft worden. Etwa die Triebwagen der Baureihe 311/315, Spitzname „Gomulka“, die auch nach fünfeinhalb Jahrzehnten noch unverzichtbar im Vorortverkehr rund um Ljubljana sind. Wie fast alle anderen Fahrzeuge der SŽ sind auch diese einfachen und robusten Triebwagen aus polnischer Produktion von oben bis unten mit Graffiti bemalt. Ebenso unermüdlich im Einsatz sind die bald 50 Jahre alten Dieseltriebwagen der Reihe 711, die seinerzeit als „Grüner Zug“ die Flaggschiffe der Jugoslawischen Staatsbahnen waren und bis in die 1990er-Jahre auch regelmäßig im internationalen Schnellverkehr von Zagreb und Ljubljana nach Graz unterwegs waren. Heute fahren sie unter anderem auf den kürzlich wieder eingeführten internationalen Verbindungen zwischen dem italienischen Grenzbahnhof Villa Opicina oberhalb von Triest und Ljubljana.

Für mich heißt es nach einem kurzen Getränkeeinkauf aber nach einer guten halben Stunde schon wieder Abschied nehmen von der slowenischen Hauptstadt und ihrem Bahnhof. Weiter geht es mit dem internationalen Schnellzug MV/B 483 „Ljubljana“. Auch die drei slowenischen Wagen dieses Zuges stammen aus Beständen der früheren Jugoslawischen Eisenbahnen und sind ebenfalls vollkommen mit Graffiti und diversen Tags verziert. Innen sind sie aber erstaunlich gepflegt: Die Sitze neu aufgepolstert und bezogen, dazu saubere Vorhänge. Und auf den Toiletten gibt es Wasser, Seife und Handtücher. Das ist selbst in deutlich moderneren Fahrzeugen der ÖBB oder der Deutschen Bahn nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Olfaktorisch sind die offenen Fallrohr-Toiletten – besser bekannt als „Plumpsklo“- der slowenischen Abteilwagen allerdings eine ziemliche Zumutung. Zu wünschen übrig lassen auch die Laufeigenschaften der alten Wagen aus serbischer Produktion: Sie rumpeln und poltern so über die streckenweise arg abgefahrenen Schienen, dass einem Angst und Bange wird.

Gleich nach der Abfahrt kommt die slowenische Schaffnerin. Mein deutsches Handyticket scannt sie problemlos mit ihrem Smartphone ein, dann fragt sie mich, ob ich eh bis Rijeka durchfahre. Ich bejahe. „Ok, thank you, have a nice trip.“ In recht rasanter Fahrt und mit einigen wenigen Zwischenstopps erreicht der „Ljubljana“ bald den slowenischen Grenzbahnhof Ilirska Bistrica. Dort steigen zwei extra mit dem Auto angereiste slowenische Grenzpolizisten ein und beginnen mit der Kontrolle der wenigen verbliebenen Fahrgäste, die nicht in Postojna oder Ilirska Bistrica ausgestiegen sind. Jeder Ausweis wird mit dem kleinen Handcomputer gescannt, den die Polizisten am Handgelenk tragen. Der Lokführer nutzt die Gelegenheit, und holt sich in der Fahrdienstleitung einen Kaffee. Die Polizisten, die ihre Kontrolle bald beendet haben, tun es ihm gleich. Danach wird bis zur planmäßigen Abfahrtszeit mit einem älteren Einheimischen auf dem Bahnsteig geplaudert. Der Eisenbahnbetrieb hier mitten im slowenischen Karst läuft noch sehr beschaulich ab.

Lokwechsel mitten im Karst

Durchaus rasant geht es dann weiter, ein paar Kilometer später bremst der Zug vor einem längeren Tunnel dann ab. Kurz darauf tauchen am Streckenrand die Schilder „Republika Hrvatska“ und „EU“ auf: Willkommen in Kroatien. Nachdem wir in gemächlichem Tempo das schon historische, aber immer noch im täglichen Einsatz stehende Einfahr-Formsignal altösterreichischer Bauart passiert haben, rollen wir im kroatischen Grenzbahnhof Šapjane aus. Auf dem Gleis links wartet bereits die Lokomotive der kroatischen Personenverkehrsgesellschaft HŽPP: Anders als in Slowenien, das das seinerzeit von Italien übernommene Gleichstrom-System bis heute fortführt, fahren die Züge in Kroatien inzwischen mit Wechselstrom. Die Strecke von der slowenischen Grenze über Rijeka nach Zagreb wurde erst vor ein paar Jahren umgestellt. Deshalb ist jetzt für die letzten Kilometer nach Rijeka eine neue Lok nötig.

Der Lokwechsel gestaltet sich aufwändig: Die kroatische Maschine setzt sich vor die slowenische Gleichstrom-Lok, die mit Schwung in den Wechselstromabschnitt eingefahren ist, der Verschieber kuppelt an und dann wird die slowenische Lok abgezogen, vor eine Weiche geschleppt und schließlich abgestoßen: Mit Hilfe der Schwerkraft gelangt sie so wieder unter ihre Gleichstromfahrleitung in der anderen Hälfte des Bahnhofs. Jetzt kann die koratische Lok an den Zug ankuppeln. Während dieser Manöver ist ein einzelner kroatischer Grnezpolizist, der mit einem schon etwas ramponierten Škoda-Streifenwagen angefahren gekommen ist, durch den Zug gegangen und hat die Ausweise einer eher oberflächlichen Kontrolle unterzogen. Die slowenische Schaffnerin hat inzwischen ihren Dienst und die Zugpapiere an die kroatische Kollegin übergeben. Auch hier bleibt dann noch Zeit für einen Kaffee und einen kleinen Tratsch beim Fahrdienstleiter.

Nur mehr zwei Züge pro Tag

Schließlich geht es in sehr moderatem Tempo weiter durch die karge Karstlandschaft, vorbei an einigen aufgelassenen Bahnhöfen: Der Regionalverkehr auf dem kroatischen Streckenabschnitt ist längst eingestellt. Es fahren nur mehr die beiden internationalen Zugpaare: B/MV 482 – 483 „Ljubljana“ ist die Tagesverbindung Ljlubljana – Rijeka – Ljubljana, die seit heuer in der Hochsaison von Juni bis September erstmals wieder einen von HŽPP gestellten klimatisierten Kurswagen von und nach Wien mitführen wird. Die Tagesrandzüge B/MV 480 – 481 „Opatija“ führen ganzjährig einen kroatischen Sitzwagen und in der Hochsaison außerdem einen kroatischen Schlafwagen von und nach München mit.

Inzwischen ist die kroatische Schaffnerin in meinem Abteil vorbeigekommen: Mit meinem deutschen Handy-Ticket hat sie keine rechte Freude. Zum Einscannen hat sie nichts dabei und bei dem unübersichtlichen Buchstaben-Zahlen-Salat der Wegevorschrift blickt sie nicht wirklich durch. Ich hätte nur eine Fahrkarte bis zum kroatischen Grenzbahnhof Šapjane, meint sie. Aber schließlich ist das Missverständnis schnell aufgeklärt, die Schaffnerin spricht auch gut englisch.

Kurz darauf erreichen wird den einzigen Zwischenhalt für die Schnellzüge. Es ist der wunderschöne Bahnhof Opatija-Matulji: Er liegt hoch über dem Meer, Kletterpflanzen ranken sich über die Steinfassade des stattlichen Bahnhofsgebäudes und auf der gegenüberliegenden Seite führt ein Weg durch eine Rosenlaube in einen kleinen Garten mit herrlichem Blick über die Kvarner Bucht. Einige Reisende verlassen den Zug: Sie werden abgeholt oder fahren mit dem Taxi weiter in den berühmten Luftkurort Opatija direkt am Meer, früher bekannt als Abbazia. Es war die österreischische Südbahngesellschaft, die dem Ort durch den Bau der Bahn und einiger repräsentativer Hotels vor rund 120 Jahren zum Aufschwung verholfen hat.

Die letzten Kilometer Richtung Rijeka rattert der Zug zuerst durch die Karstebene hoch über dem Meer und verliert dann kontinuierlich an Höhe. Buschwerk und Kalkfelsen weichen jetzt Wohnhäusern und allmählich mächtigen Industrieanlagen, die ihrem Aussehen nach schon bessere Zeiten erlebt haben. So gut wie pünktlich erreicht der MV/B 483 schließlich den Bahnhof von Rijeka. Das riesige und einst prunkvolle Bahnhofsgebäude ist inzwischen völlig heruntergekommen. In der düsteren Ankunftshalle sind die Wände beschmiert, statt Lampen hängen nur mehr nackte Leuchtstoffröhren an der Decke. Die Abfahrtshalle zeigt sich im schon arg ramponierten Jugo-Stil der frühen Achtzigerjahre: Die schmutzigen Tapeten hängen in Fetzen von den Wänden. Nur die elektronische Abfahrtstafel, ein nagelneuer Fahrkartenautomat und ein einziger geöffneter Fahrkartenschalter zeugen davon, dass in dieser Ruine tatsächlich noch regelmäßiger Bahnverkehr stattfindet, wenn auch auf höchst bescheidenem Niveau.

Ich habe also nach rund 600 Kilometern, dreimal Umsteigen und neuneinhalb Stunden mein Ziel erreicht. So gut wie pünktlich und absolut problemlos. Ein Ereignis, das sich auf der Rückfahrt neun Tage später nicht wiederholen sollte. Ganz im Gegenteil: Die Fahrt wird zum reinsten Abenteuer. Mehr dazu in Kürze hier auf diesen Seiten.